Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Geschmack der Kindheit eben.
In der Regel gab es aber, wie gesagt, nur Nudeln und Schokopulver für heiße Milch vom Kaba-Mann, der immer ein Cordhütchen aufhatte und dessen Gebiss offensichtlich etwas locker war, denn nach jedem Satz schnalzte die etwas lockere Gebissleiste mit einem leisen »Klick-klack« an seinem Gaumen auf und ab, was uns Kinder sehr faszinierte. Wenn er mit meiner Mutter in seinem leichten schlesischen Singsang sprach, beendete er den Satz immer mit: »Gell, Leni, nich wahr, nich (klick-klack)!« Der Kaba-Rap!
Irgendwann kam er jedoch nicht mehr, und als wir die Mama fragten, wo denn der Kaba-Mann abgeblieben sei, denn aus dem blauen Kübel hatten wir schon vor Wochen den allerletzten Rest Schokopulver herausgekratzt, da meinte sie: »Den, mein ich, hat’s weggerissen!«
Wir Kinder verstanden nicht genau, wohin es ihn gerissen haben mag, aber es klang so, als ob wir uns die nächste Weinbrandbohnenlieferung abschminken könnten. Und Schokopulver, das wir nicht aus einem blauen Eimer in eine verbeulte bunte Blechdose umfüllen mussten (man konnte ja schlecht einen blauen Eimer auf dem Frühstückstisch platzieren), sondern ab sofort – wie alle anderen Kinder – in langweiligen, länglich-gelben Dosen im Supermarkt kauften, war einfach nicht dasselbe. Außerdem hatten wir den Kaba-Mann gemocht, nicht zuletzt, weil er unserer Mutter nie das Geheimnis mit den versteckten Weinbrandbohnen verraten hatte, denn Diskretion ist eben das oberste Gebot des Verkäufers, nich wahr, nich, klick-klack!
Ihre Handtücher, Bettwäsche und Wolldecken kaufte meine Mama bei einem freundlichen Herrn namens Hubert Kaspar, der jedes Jahr ein paarmal aus dem Schwäbischen in unsere Gegend reiste. Und da meine Mutter eine Schwäche für gut sitzende, pflegeleichte Blumenbettwäsche hatte, war sein Weg zu uns nie umsonst. Und weil er ein charmanter Herr war, der nie schmutzige Witze erzählte – denn dagegen hatte meine Mama im Gegensatz zu mir eine Aversion –, bekam er immer einen Kaffee und dazu ein Stückerl Kuchen oder etwas Schmalzgebackenes, je nachdem, was grad im Hause Gruber verfügbar war. Hubert Kaspar tratschte nie über seine Kunden, dazu war er viel zu diskret, aber meine Mama mochte ihn, denn seine Ware war immer einwandfrei, und er selber war genauso gepflegt wie sein schneeweißer Mercedes, mit dem er unterwegs war. Außerdem bekam man im Falle einer Bestellung immer etwas geschenkt: ein buntes, riesiges Badetuch oder ein Kuschelkissen mit Tiermotiven.
Die Wolldecken hätte meine Mama zwar auch beim sogenannten »Deckenmann« kaufen können. Das tat sie aber nicht, denn eben dieser Deckenmann hatte zwar den Kofferraum seines Autos voller Decken, wollte diese aber gar nicht unbedingt verkaufen, wie er immer wieder glaubhaft versicherte, weil er eigentlich ein reicher Mann war, denn ihm gehörten mehrere Wohnblöcke in München. Zumindest behauptete er das. Er fuhr einfach so übers Land, weil ihm sonst langweilig geworden wäre. Und zum anderen brauchte er die Decken für die zwei riesigen Hunde, die immer hinten im Kofferraum lagen und jeden, der nur an dem Auto vorbeiging, zähnefletschend ankläfften und dabei vom Kofferraum auf den Beifahrersitz und wieder zurück sprangen. Furchterregend für uns Kinder. Gut für den Deckenmann: Er musste sein Auto nie absperren, nicht einmal im Bayerischen Wald, wie er uns versicherte.
Dieser große, bärtige, leicht ungepflegt wirkende Mann sah zwar auf den ersten Blick nicht reich aus, aber er hatte durchaus diese gewisse Gelassenheit, die wohlhabenden Menschen oft zu eigen ist, weil sie wissen, dass sie erstens nicht unbedingt Geld verdienen müssen und zweitens sowieso recht anspruchslos leben und nicht viel davon benötigen.
Er kam zur Haustür herein (unsere Haustür war tagsüber immer offen), hatte dabei immer dieselbe grüne Jagdkleidung an, setzte sich grußlos bei meiner Mutter an den Küchentisch und begann von seinen verflossenen Liebschaften zu erzählen. Meine Mutter und wir Kinder fanden das wahnsinnig interessant, ein Mann, der ständig neue Frauen hatte. Wahrlich ein Exot im katholischen Oberbayern. Zumindest wechselte er die Frauen öfter als seine fleckigen, leicht nach Hund müffelnden Oberhemden (was aber bei dem schmutzigen Tannengrün nicht so auffiel). Wir fanden das cool und weltmännisch. Die Mama sagte immer: »Mei, so san halt die Leid in der Stadt!« Damit meinte sie keine Stadt im Besonderen, sondern einfach die Spezies
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