Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
er überhaupt Latzhose trägt. Oft kam er schon mit farbenfrohen, maßgeschneiderten kimonoartigen Oberteilen zurück, die er fast schon stolz wie eine Trophäe über seiner ausgewaschenen Wrangler-Jeans trägt.
Am Stammtisch warten dann schon immer alle ungeduldig auf die neuesten Geschichten aus dem Land mit den unter der Sonne gedeihenden exotischen Gewächsen. Und alle – Bauern, Handwerksburschen und städtische Angestellte – bekamen große Augen, als der Flocki von einer Lotusblume erzählte, die ihm in einer Bar irgendwo am Strand von Pattaya vor allen anderen (männlichen) Gästen das Hosentürl aufmachte, was dem Flocki furchtbar peinlich war, denn der Flocki ist halt doch nicht der abgebrühte Weltenbummler, als der er sich gern sähe, sondern im Grunde genommen ein einfacher, etwas unbeholfener Bär. Und außerdem natürlich streng katholisch erzogen. Irgendwann einmal. Pattaya hin, Lust her. Als einer der Stammtischler anmerkte: »Warum hast dann ned gesagt, sie soll aufhören?« Da meinte der Flocki nur etwas kleinlaut: »Ja, weil i ned gewusst hab, was Stopp auf Englisch heißt!«
Alle freuen sich immer über seine Rückkehr, weil es dann wieder für die nächsten zwei, drei öden Wintermonate Gesprächsstoff am Stammtisch gibt, aber trotzdem lassen sie den Flocki nicht mittrinken, wenn ein Maßkrug kreist, weil einer am Stammtisch Geburtstag hat. Der Flocki muss dann so lange aus seinem eigenen Glas trinken, bis er einen offiziellen Aidstest vorlegt. Das ist am Stammtisch seit jeher eisernes Gesetz. Und er macht ihn auch jedes Jahr, den Aidstest. Dazu geht der Flocki ins Landratsamt, wo neben der Mütterberatungsstelle eine Aidsberatungsstelle ist. Und da sitzt dann der Flocki in seinem thailändischen Kimono über seiner Wrangler-Jeans neben den werdenden Müttern. Und einmal – die Geschichte erzählte er später am Stammtisch und lachte dabei so schallend, dass er die erste Halbe fast komplett verschüttete – schaute ihn eine der Schwangeren etwas schief von der Seite an und fragte: »Und? Warum san Sie da?«
Da meinte der Flocki nur trocken: »Wegen dem Gleichen wie ihr: ungeschützter Geschlechtsverkehr!«
Das Faszinierendste am Flocki ist jedoch, dass er in irgendeiner Form an so ziemlich allen spektakulären echten und auch vermeintlichen Todesfällen in seiner näheren Umgebung beteiligt war. Sagt er. Ob die Einzelheiten immer so ganz genau der Wahrheit entsprechen, das kann ich nicht beurteilen. Aber warum sollten sie eigentlich nicht wahr sein, wo wir doch wissen: Die besten Geschichten schreibt das Leben selber.
Der Flocki musste zum Beispiel mal für einige Wochen seinen Führerschein abgeben. Wegen Trunkenheit am Steuer. Was sonst. Eigentlich war ihm das gar nicht so unrecht, denn ein mobiler Hausmeisterdienst ist ohne das »mobil« nur so viel wert wie ein einbeiniger Stürmer. Aus diesem Grund beschloss der Flocki, seine Pick-up-lose Zeit einfach zum Betriebsurlaub zu erklären. Wer hätte schon von ihm verlangen können, den Rasenmäher kilometerweise zu Fuß durch die Ortschaften zu schieben. Und selbst der Werkzeugkasten wäre zu schwer und unhandlich für jedes Fahrrad, genauso wie der Flocki selber. Deshalb besaß er erst gar keines.
Also sah man den Flocki in diesen vier Wochen jeden Abend zu Fuß zu seinem Stammlokal gehen. Dabei musste er immer an einem Haus vorbei, wo oben aus dem Speicherfenster ein dunkler Vorhang wehte. Nach einigen Tagen, als das Wetter umschlug und es stürmte und regnete, kam dem Flocki das immer noch offene Speicherfenster mit dem wehenden Vorhang etwas komisch vor, und er erzählte den Stammtischspezln von seiner Entdeckung. Diese zogen ihn aber nur auf: »Geh, Flocki, was soll denn da sei? In dem Haus wohnt der Lehrer, der wird halt korrigieren müssen, und da macht er das Fenster auf, damit der ganze Schmarrrn von die Schüler nauskommt!«
Aber der Flocki ließ nicht locker. Wer lüftet schon mehr als eine Woche? Und dass der Lehrer sein Korrekturstüberl ausgerechnet in den Speicher verlegt haben sollte, das kam ihm auch mehr als seltsam vor. Irgendwann beschloss einer der Stammtischler, der den Lehrer näher kannte, an dessen Haustür zu läuten. Aber niemand öffnete. Und als die Polizei schließlich die Tür aufbrach, fand man den Lehrer erhängt auf dem Dachboden. Und der dunkle Vorhang, der tagelang aus dem Fenster geweht hatte, das war der schwarze Mantel des Lehrers, den er trug, als er beschloss, den Dachbalken auf seine
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