Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Also offiziell heißt er so. Aber wenn du in Erding lebst und dein Fernseher kaputt ist, dann würde es heißen: »Geh halt zum Fernseh-Tschak und kauf’ dir an neuen!«
Als ich als Kellnerin beim Alten Wirt in Goldach arbeitete, erzählte mir mein Chef Heinz, dass er in seiner Münchner Gastrozeit einen Stammgast hatte, den alle nur als »Gauner-Edi« kannten. Dieser hatte seinen prägnanten Spitznamen bekommen, weil er stets öffentlich verkündete: »Anständig verdientes Geld, des langweilt mich!«
Falls mir irgendjemand irgendwann einmal aus einem unerfindlichen Grund etwas schenken möchte, dann kann er immer gern in Erding zum »Puffi« reinschauen, der weiß zum Beispiel immer, was mir gefällt. Und Sie brauchen jetzt keine Angst zu haben, denn beim Puffi handelt es sich nicht etwa um ein schmieriges Hinterhofkabuff für Erotikbedarf. Nein, der Puffi hat einen Obst-, Gemüse- und Weinladen in der Erdinger Innenstadt und heißt mit bürgerlichem Namen Adelsberger Herbert. Und während ich dies schreibe, fällt mir siedend heiß ein, dass ich den Puffi dringendst fragen muss, woher sein einprägsamer Spitzname eigentlich stammt.
Manchmal richtet sich der Spitzname auch nach den Hobbys der jeweiligen Personen: In der Kneipe, in der ich jahrelang bedient habe, gab es einen Stammgast, der leidenschaftlicher Fischer war und das Ergebnis seiner Fangkünste auch gern selber räucherte und Kostproben davon an seine Lieblingsbedienungen und Stammgäste verteilte. Deshalb hieß er bei allen nur der Forellen-Seppe.
Des Weiteren gab es in der Kategorie Kleintiere noch den »Ross-Hanse« und einen begeisterten Hasenzüchter, den Hasen-Schorschi. Er und seine Frau, die Hasen-Schorschi-Rita, boten mir in meiner Kellnerzeit immer wieder mal an, mir beim nächsten Besuch ein paar Scheiberl von ihrem selbst gemachten Hasenleberkäs mitzubringen. Ich habe jedoch jedes Mal dankend abgelehnt, denn das, was ich am normalen Leberkäs am meisten schätze, ist die Tatsache, dass man keine Ahnung hat, was eigentlich drin ist. Was man jedoch sicher weiß, ist, dass sich weder die genannte Leber noch Käse in der bayerischen Nationalspeise befinden. Und das ist das Problem beim Hasen-Leberkäs, nämlich eine entscheidende konkrete Information zuviel – zumindest für mich. Außerdem finde ich Hasen irgendwie süß. Ich hatte sogar einmal einen als Kuscheltier. Und ich kann nichts essen, was ich schon mal als Kuscheltier hatte. Mein Lieblingskuscheltier war ein rosa Kätzchen. Allein deshalb kann ich also nie nach China reisen und dort in einer lokalen Kneipe vom Katzen-Hio und seiner Frau, der Katzen-Hio-Ling, deren chinesischen Katzenleberkäs probieren. Auch gut.
Nach ihren sportlichen Hobbys waren bei uns im Lokal folgende Stammgäste benannt: der »Radl-Franze«, weil er bei Wind und Wetter mit dem Radl unterwegs war, der »Puff-Luggi«, weil – na ja, wie soll ich sagen: Er hatte definitiv keinen Obst-, Gemüse- und Weinhandel, sondern seine Leidenschaft galt eher den Fleischeslüsten.
Und es gab den »Brauser«, der von allen so genannt wurde, weil er nämlich am Telefon immer sagte, wenn er von Freunden gefragt wurde, ob er denn mit zu uns in den Bierteufel gehen wolle: »Scho, aber ich muass mi zerscht noch brausen!«
Ein Spezl meines Bruders wurde von allen jahrelang nur »Drogo« genannt, weil er in seiner Sturm-und-Drang-Zeit öfter mal ein gepflegtes Getränk zu sich nahm. Das war in der Clique meines Bruders jetzt noch nichts Ungewöhnliches, weil er aber dabei eine fast psychedelische tranceartige Lässigkeit an den Tag legte, verpasste man ihm dieses Prädikat, das zu seinem jahrzehntelangen Markenzeichen wurde. Sein Spitzname war Alt und Jung in der ganzen Gemeinde so geläufig, dass der eigentliche Vorname irgendwann fast in Vergessenheit geriet. Da er bei einem großen Telekommunikationsunternehmen tätig war, musste ich ihn eines Tages dringend sprechen, und als die nette Dame von der Telefonvermittlung fragte, wen ich denn gern sprechen würde, fiel mir auf, dass ich weder seinen Vor- noch seinen Nachnamen parat hatte, und wenn ich nach »Drogo« verlangt hätte, hätte sie mich wahrscheinlich an die Anonymen Alkoholiker verwiesen.
Wenn unsere Stammgäste kein eindeutiges Hobby hatten, dann wurden sie häufig nach ihren Lieblingsgetränken benannt: Es gab den »Dunkle-Weißbier-Franze«, den »Barolo-Hans«, die »Chardonnay-Christine«, den »Apfelschorle-Hans«, den »Asbach-Kurti« und so weiter.
Wenn
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