Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
jemand eine spezielle körperliche Auffälligkeit aufweist, dann schlägt sich diese natürlich auch oft in seinem Spitznamen nieder: Ein dauerhumpelnder Gastwirt in der näheren Umgebung wird von seinen Gästen nur der »Ein-Zylinder« genannt. Ein sehr schmächtiger Stammgast von uns hieß bei allen nur »Spaghetti«, und eine Dame, die eine zuckersüße und anschmiegsame Figur hatte, hörte stets auf den Namen »d’Schatzi«.
Wenn man beim Thema Namen in Bayern im Allgemeinen angelangt ist, dann muss unbedingt erwähnt werden, dass in meiner Jugend in christlich geprägten Haushalten der Vorname eine enorm wichtige Rolle spielte. Denn der Vorname war nicht wie heute ein modisches Accessoire, das irgendwann einmal davon zeugen wird, dass die Eltern peinlicherweise einmal Fan eines durchgeknallten Teeniestars waren, der ständig nackig rumrannte und dessen Intelligenzquotient noch unter dem des Affen lag, den er als Kuscheltierersatz auf Reisen mitzunehmen pflegte. Nein, der Vorname spiegelte in einer bäuerlichen Familie nicht nur einen Teil der Familientradition wider, weshalb der erstgeborene Sohn in der Regel auf denselben Namen getauft wurde wie schon der Vater, der Großvater, der Urgroßvater und so weiter, sondern es wurde auch darauf geachtet, dass es zu dem ausgewählten Namen einen passenden Heiligen gab. Deshalb ist auch in unserer Familie der Namenstag selbst heute noch fast wichtiger und feiernswerter als der Geburtstag. Runde Geburtstage, goldene Hochzeiten, Fünfzigjährige Mitgliedschaften in der freiwilligen Feuerwehr, dem Schützenverein, Kegelclub, Krieger- und Soldatenverein oder Sportverein sind davon ausgenommen.
Der Geburtstag steht ja lediglich für das schnöde Datum, an dem man zur Welt kam, eine Randnotiz, eine Laune der Natur. Der Vorname, den man trägt, hingegen repräsentiert einen echten Heiligen und macht einen selbst damit zum Teil von etwas Höherem. Würden die ganzen Frauenzeitschriften dem Vatikan gehören, würde da, wo das Horoskop steht, die Lebensgeschichte der Schutzheiligen stehen. Was den Vorteil hätte, dass immer das Gleiche dastünde und einen der Gedanke nicht länger nervös machen müsste, dass Mitte nächster Woche eine lebensverändernde Begegnung mit einer charismatischen Person ansteht. Es würde einfach nur die Lebensgeschichte des eigenen Schutzpatrons abgedruckt, und man könnte sich beruhigt auf die Bügelwäsche konzentrieren, denn mit so viel Frömmigkeit im Rücken können selbst aufwühlendste Begegnungen oder finanzielle Turbulenzen den Kosmos der eigenen Fabelhaftigkeit nicht erschüttern. Schließlich ist man ja offizieller Nachfahre eines Heiligen.
In meinem Fall bin ich lebende Namensvetterin der heiligen Monika. Diese wurde und wird als Mutter des heiligen Augustinus zur Seelenrettung der Kinder angerufen, da sie die Frauen und Mütter beschützt, denn sie hatte ihren eigenen Ableger, eben den heiligen Augustinus, nach jahrelangem gutem Zureden und wahrscheinlich mit der Aussicht auf eine sagenhafte Belohnung schließlich dazu gebracht, sich vom Heidentum zum Christentum zu bekehren. (Die arme Monika hatte nämlich einen heidnischen Römer geehelicht, der auch noch viel zu früh verstarb und sie mit Haushalt, renitenten Kindern und finanziellen Sorgen zurückließ. Man kennt das ja.)
Ich finde, die Geschichte passt wunderbar zu mir, denn das Seelenheil der Kinder liegt mir – falls Sie jemals in einem meiner Programme waren, wissen Sie das – tatsächlich sehr am Herzen. Aber wie soll man bloß Kinder beschützen, deren Eltern bei der Verteilung der Vernunft offensichtlich gerade in einer Spielhalle Fotos von sich mit zwölf Whisky-Cola im Gesicht getwittert haben? Eltern, die über den Namen, den ihr Kind sein Leben lang tragen wird müssen, kürzer nachdenken als über eine Bestellung beim Drive-in von McDonald’s? Eigentlich muss man schon froh sein, dass die wehrlosen kleinen Kreaturen nicht Fish Mac oder Royal TS heißen, aber ehrlich gesagt finde ich Sean-Preston, Jaden-James, Sheilo-Novel oder Maisie-Melody auch nicht besser.
Und was für eine Geschichte gibt es bitte zu einem Namen wie Kevin? Gibt es überhaupt eine? Außer dass die Mama offensichtlich ein Mal zu viel den Film Bodyguard gesehen hat und ein großer Fan von Kevin Costner zu sein scheint? Ich habe mir die Mühe gemacht und aufs detaillierteste recherchiert, und jetzt halten Sie sich fest, nehmen Sie jetzt Ihre Beruhigungstropfen: Es gibt keinen heiligen Kevin! Ich
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