Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Blick überhaupt nichts miteinander zu tun haben. In meinem Führerschein steht zum Beispiel mein Taufname, Gruber also. Dieser Name ist jedoch nur ein kleiner Teil meiner Identität, denn auf dem Land ist der entscheidende Name der Hofname beziehungsweise der Name des »Sachs«, also des Anwesens, von dem man stammt.
Meistens bezieht sich der Hofname auf die Vorfahren, so wie in meiner Familie: Der Stiefvater meines Großvaters hieß nämlich Heilmeier, was, schlampig ausgesprochen, zu dem Wort »Heimer« führt. Und so wird unser Hof seit circa neunzig Jahren der Heimer-Hof genannt. Ich war also für alle Menschen in unserer Gemeinde nie die Gruber Moni, sondern immer nur »as Heimer-Dirndl«. Und da ich noch unverheiratet bin, bin ich bei den Älteren in unserer Gemeinde auch im zarten Alter von zweiundvierzig noch das »Heimer-Dirndl«.
Im Teenageralter, in dem heute die jungen Mädels ihre Namen wie Isabella oder Franziska in »Isi«, »Bella« oder »Franzi« abkürzen können und dabei immer noch einen ziemlich guten Schnitt machen, wie ich finde, oder eben von Haus aus unverhunzbare Namen wie Laura oder Anna haben, da wurde ich von den Burschen in unserer Landjugend nur »d’Heimerin« genannt. Manchmal sogar »d’Heimer-Bäuerin«. Bei dem Wort sieht wohl jeder eine füllige, rotbackige Bäuerin in Kittelschürze mit Gummistiefeln, Kopftuch und Strickjacke vor seinem geistigen Auge, ein Bild, das definitiv noch schlimmer ist als das eines sechzehnjährigen Teenagers, der mit seinem Haferlhaarschnitt, seiner beige-braunen Hornbrille, von der Mama gestrickten Streifenpullis und überhaupt mit seinem gesamten Äußeren hadert. Als ob das Leben in der Pubertät nicht so schon schwer genug wäre, aber wenn einen immer der Hauch latenter Verarschung umweht, rückt das Thema Selbstfindung und Eigenliebe in geradezu unerreichbare Ferne.
Manchmal bezieht sich der Hofname aber auch einfach auf den Ort, an dem sich der Hof befindet, was besonders bei Weilern und bei allein stehenden Höfen der Fall ist. Da gibt es dann Hofnamen wie zum Beispiel der Felber z’Felben oder der Grasser z’Grass. Was wie eine überflüssige Doppelung klingt, ist einfach eine Bestätigung à la »Da san mir her, da ghören mir hin!«. Die Tatsache, dass es einen Ort gibt, zu dem man sich seit Generationen zugehörig fühlt, egal, ob dieser Ort Außenstehenden als landschaftlich idyllisch perfekt gelegen oder als geradezu grotesk in seiner Trostlosigkeit erscheint, ist für mich immer ein wichtiger Teil des Begriffs »Heimat« gewesen.
Die Hofnamen hängen natürlich oft auch mit den Berufen der Vorfahren zusammen: In den meisten bayerischen Ortschaften wird es deshalb ein Schuster-Anwesen (gesprochen: beim Schuasta), einen Huber-Hof (gesprochen: Huaba-Hof) oder ein Maler- oder Kramer-Anwesen geben.
Oft lässt sich der Hofname nicht so leicht ableiten, und weiß nur die Familie selber den Ursprung zu erklären. Bei uns im Ort gibt es zum Beispiel eine Familie Scheiel, aber jeder im Ort sagt nur: »I fahr schnell zum Holler naus.« Auch bei dem Wort »Liebl Elisabeth« muss man selbst als Dorfbewohner kurz überlegen, bis man darauf kommt, dass damit die »Stimmer Liesi« gemeint ist. Und – ganz wichtig – in Bayern wird immer erst der Nach- und dann der Vorname genannt, also quasi der Stall, aus dem man kommt. Vor vielen Jahren nach einem Faschingsball der Sportgemeinschaft Reichenkirchen hat mich meine Mama am nächsten Morgen gefragt, mit wem ich denn alles getanzt hätte, und ich sagte ihr wahrheitsgemäß: »Mit’m Helmut Maier.«
»Mit wem?«
»Mit’m Helmut Maier halt.«
»Kenn ich ned.«
»Geh, du kennst doch an Helmut Maier vom Elektrogschäft!«
»Ah, du meinst an Maier Helmut – geh, sags doch gleich!«
Furchtbar praktisch finde ich auch, dass der Bayer nicht nur Haus- und Hofnamen, sondern mit großer Begeisterung auch Spitznamen verwendet. Dieser ist natürlich oft personenspezifischer, da er sich zum Beispiel nach dem Beruf der jeweiligen Person richtet. Der Vorstand eines Lagerhauses, wo die Bauern aus der Umgebung ihren Kunstdünger, Spritzmittel et cetera kaufen, heißt mit Vornamen Toni, aber aufgrund seiner Lagerhaustätigkeit wird er von allen nur »der Stickstoff-Toni« genannt.
Und weil wir in Bayern ja noch immer in der Hochburg des Patriarchats leben, heißt sein Frau, die Maria, logischerweise d’ Stickstoff-Toni-Mari.
Oder bei uns in Erding gibt es einen Elektrohändler namens Ewald Nachbar.
Weitere Kostenlose Bücher