Man tut, was man kann (German Edition)
wenn ich es täte.
Immerhin, jetzt gerade fühle ich mich ziemlich wohl. So wohl, dass ich vielleicht wenigstens heute Nacht bleiben werde.
Ich blickte ins Dunkel, muss an Sophie denken, an unser Gespräch heute Abend.
Als ich sie abholen wollte, öffnete mir Tommi. Tommi heißt eigentlich Thomas, findet aber nichts dabei, wenn erwachsene Männer ihre Namen verniedlichen. Tommi lebt seit knapp zwei Jahren mit Lisa und Sophie zusammen. Er ist Gitarrist und in den Achtzigern mit diversen Rockbands um die Welt gezogen. Vor knapp fünfzehn Jahren wäre er in London fast an einer Überdosis gestorben, und diese Erfahrung hat ihn völlig umgekrempelt. Tommi änderte sein Leben von Grund auf, er wurde Studiomusiker, Gesundheitsapostel und ein unverbesserlicher Spießer. Seine liebste Beschäftigung ist es, sich um irgendwas oder irgendwen Sorgen zu machen, vorzugsweise um Lisa oder Sophie. Bei Sophie komme dann ich ins Spiel. Wenn ich sie abhole, muss ich darüber Auskunft geben, wo wir hinwollen und wann ich sie wieder nach Hause bringe. Je nach Ausflugsort bekomme ich von Tommi wärmende, atmungsaktive oder sonst wie praktische Kleidung für Sophie in die Hand gedrückt, meist verbunden mit ein paar sehr mütterlichen Tipps und Ratschlägen.
Besonders wichtig ist Tommi, dass ich Sophie von jeglichen Drogen fernhalte. In Tommis Nichtraucherhaus sind die Alkoholika in einer Art Waffenschrank untergebracht, der Schlüssel dazu ist wahrscheinlich bei einer Schweizer Bank deponiert und wird nur vor Festtagen eingeflogen. Kurzum, Tommi ist eine viktorianische Gouvernante und für mich außerdem das abschreckendste Beispiel für die katastrophalen Folgen von Drogenmissbrauch, insbesondere von vorzeitig abgebrochenem Drogenmissbrauch.
«Wir müssen reden», begrüßte mich Tommi, und ich konnte ihm ansehen, dass er schon jetzt sehr schwer zu leiden hatte unter der Last des nun folgenden Gesprächs.
Ich nahm Platz auf einem dieser beschissenen Sitzsäcke, von denen man kaum wieder hochkommt, Tommi hockte sich auf den Teppich und setzte ein sorgenvolles Gesicht auf.
«Du hast Sophie empfohlen, mit einem Mann zu schlafen», sagte er.
«Sicher nicht», erwiderte ich.
Er atmete hörbar aus. «Sie hat es mir erzählt, Paul. Sie hat mir gesagt, dass ihr über ihren Wunsch, jungfräulich in die Ehe zu gehen, gesprochen habt.»
«Ach so, das meinst du.»
Er nickte wie ein strenger, aber doch sehr gerechter Sektenführer. «Ja, genau das meine ich, Paul. Und? Hast du es ihr empfohlen?»
Ich überlegte. Was hatte ich denn da noch gesagt? Ach ja. «Ich habe ihr gesagt, sie kann in ihrem ganzen Leben noch oft genug keinen Sex haben und sie soll sich gut überlegen, ob sie jetzt schon damit anfangen will», antwortete ich wahrheitsgemäß.
Tommi saß einfach nur da und sah mich mit dem bedauernden Blick eines Erleuchteten an, der nicht weiß, was er mit dem armen, verwirrten Ungläubigen vor sich anfangen soll. Dann schüttelte er traurig den Kopf.
«Ich fürchte, wir müssen mit Lisa darüber sprechen.»
Zeit, ein wenig einzulenken. «Hör mal, Tommi, Sophie wird in einem Monat sechzehn. Ich denke, sie kann gut mit verschiedenen Meinungen umgehen. Wenn sie vor der Ehe keinen Sex haben will, dann respektiere ich das natürlich. Aber wenn sie mich fragt, was ich davon halte, dann sage ich ihr auch, wie ich dazu stehe.»
Tommi straffte sich, sah jetzt ein bisschen wie ein Yogi aus. «Ich denke, Sophie weiß sehr gut, was sie will, und Lisa und ich bestärken sie darin. Ich brauche dir nicht zu sagen, was einem jungen Mädchen da draußen alles passieren kann. Deshalb erwarte ich, dass du nicht gegen uns arbeitest. Es ist doch schon schwer genug, eine Familie zusammenzuhalten. Du weißt das doch wohl am besten, oder?»
Schon klar, Tommi, ich habe es ja nicht geschafft, diese Familie zusammenzuhalten, deswegen muss ich mir ja jetzt hier auf diesem Scheißsitzsack den Rücken ruinieren. Danke aber dafür, dass du mir mein Versagen bei jeder Gelegenheit aufs Butterbrot schmierst. Ich bin gespannt, ob deine laktose- und glutenfreie Diktatur hier auch acht Jahre hält.
«Das heißt?», fragte ich.
«Das heißt, Lisa und ich erwarten deine Unterstützung und keine erzieherischen Alleingänge», sagte Tommi mit milder Strenge.
Gut, Tommi, du hast gewonnen, ich lenke ein. So wie ich jedes Mal einlenke. Ich werde aber Sophie auch in Zukunft ehrliche Antworten geben, wenn sie mir Fragen stellt, die ihr wichtig sind. Und zur Strafe
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