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Man tut, was man kann (German Edition)

Man tut, was man kann (German Edition)

Titel: Man tut, was man kann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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Gesprächsbeitrag einleiten wird. Sie kennt Günther noch nicht gut, sonst würde sie wissen, dass er nicht unbedingt ein packender Erzähler ist. Ehrlich gesagt, ist «Wir haben uns zufällig auf dieser Vernissage getroffen» schon das Packendste, was ich seit Jahren von Günther gehört habe. Er lächelt und wartet auf eine Reaktion von Iggy.
    Ich weiß nicht, wie oft ich Günther schon gesagt habe, dass ein Gespräch mit einer Frage, einem Kompliment oder einer witzigen Banalität beginnt, definitiv aber nicht mit einer einfachen Aussage, auf die der Gesprächspartner nichts Sinnvolles erwidern kann. «Sie tragen ein sehr hübsches Kleid» oder «Haben Sie schon die Desserts probiert?» sind also zulässige Gesprächseröffnungen. «Senf wird aus Senfkörnern hergestellt» oder «Der Klondike ist ein Nebenfluss des Yukon» eignen sich hingegen nicht, um das Eis zu brechen. Da Günther das trotz seiner hohen Intelligenz wohl niemals verstehen wird, springe ich ihm bei. «Ja, stimmt. Ich war auch da. Bronko. Aktzeichnungen. Ihr habt wohl das Catering gemacht, oder?»
    Iggy erinnert sich. «Ach ja, da hab ich dich auch kurz gesehen …», sagt sie, zeigt dabei mit dem Finger auf mich, um dann nachdenklich Günther anzusehen. «Und du warst auch da.» Es klingt wie eine Feststellung, könnte aber durchaus als Frage gemeint sein. Ich sehe Günther an, dass es ihm das Herz brechen wird, wenn sie sich nicht erinnern könnte, und Iggy sieht es in diesem Moment wohl auch. «Logisch, klar erinnere ich mich. Haben wir uns da nicht auch unterhalten?», fragt sie.
    «Ja, aber nur ganz kurz», erwidert Günther schnell und erleichtert.
    Iggy nickt. «Du, da waren so viele Leute …»
    «Ja klar», sagt Günther jovial und wirkt für seine Verhältnisse im Moment regelrecht wortgewaltig. Ich hebe rasch mein Glas, um Wein auf die Mühlen zu gießen. «Also dann, auf einen schönen Abend.»
    Schamski gießt sich schnell nach, er hat bereits ein Glas gekippt, als wir drei noch in die Gesprächseröffnung vertieft waren. Man prostet sich zu.
    Wir sprechen über Bronkos Bilder, über Iggys einstige Ambitionen, Modedesign zu studieren, über Günthers Job, insbesondere seine Pionierleistungen zu Zeiten des Internetbooms, und über eine Menge mehr. Schamski hat längst begriffen, dass meine missionarische Tätigkeit an diesem Tisch erst dann beendet ist, wenn Günther und Iggy in der Lage sind, ein Gespräch ohne fremde Hilfe zu führen. Weil das offenbar noch eine Weile dauert, macht Schamski sich in der Logistik nützlich. Er sorgt für Wein- und Wassernachschub und organisiert zwischendurch auch schon mal eine Runde Obstbrände, weil sich am Tisch die Meinung durchgesetzt hat, dass die Butter wohl doch nicht mehr ganz frisch war und die Anwesenden nun mit Schnäpsen etwaigen Magenproblemen vorzubeugen versuchen. Jedenfalls warten Schamski und ich geduldig auf jenen magischen Moment, an dem Günther und Iggy ein Thema finden, das sie vielleicht eine halbe Stunde lang allein beschäftigt.
    Und dann ist dieser magische Moment plötzlich und endlich da.
    «Auf jeden Fall meine Katze», antwortet Iggy auf Günthers saudoofe Frage, welche drei Dinge sie mit auf eine einsame Insel nehmen würde.
    «Ich hatte auch mal ’ne Katze», sagt Günther seufzend und wirkt in diesem Moment wie ein trauriger Bär, der sich versehentlich auf seinen besten Spielkameraden gesetzt hat. Iggy sieht Günther an und spürt sofort, dass da eine sehr ergreifende Geschichte in ihm steckt, die dringend erzählt werden muss, sofern er eines Tages wieder ein normales Leben führen will.
    Sie rückt ein wenig näher.
    Schamski und ich tauschen einen kurzen Blick. Unsere Mission ist fast erfüllt. In weniger als einer Minute werden wir uns dezent an einen der anderen Tische verpissen und Günther und Iggy ihrer Trauer und ihrem Schmerz überlassen können.
    «Erzähl», sagt Iggy sanft und berührt vorsichtig Günthers Schulter.
    Okay, Günther, ich hoffe, du erinnerst dich an meinen Vortrag über die Mitleidstour, insbesondere an jene Passage, in der es darum ging, dass man die Mitleidstour auf keinen Fall übertreiben darf. Drück also jetzt bei deiner Katzengeschichte nicht zu sehr auf die Tränendrüse. Das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass ich die Geschichte kenne und es nicht besonders traurig finde, dass eine steinalte Katze eines Morgens nicht mehr aufwacht. Das schreit förmlich nach Ausschmückungen, wovor ich dich ausdrücklich warnen würde.

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