Man tut, was man kann (German Edition)
womöglich kann sie Sophie bei der Suche nach einer Gastfamilie behilflich sein, wenn nicht gar Jennifers Familie selbst Sophie einladen wird. Finde ich gut, junge Menschen sollten Auslandserfahrungen sammeln. Außerdem wird Tommi wahrscheinlich an die Decke gehen, wenn er hört, dass Sophie unbeaufsichtigt eine Weile in einem fremden Land leben möchte. Angesichts des bevorstehenden Eklats steigt meine Laune. Selbst die Chicorée-Schiffchen mit einem Klecks ungewürztem Hüttenkäse, die als Vorspeise gereicht werden, können mir im Moment die Vorfreude auf Tommis Gezeter nicht nehmen.
Als zum Hauptgang Tofubratlinge mit Sprossensalat auf den Tisch kommen, vermisse ich dann aber doch schmerzlich einen Rotwein.
Lisa scheint es mir anzusehen. «Möchtest du vielleicht was anderes trinken als Wasser?»
«Habt ihr vielleicht ’n Rotwein?», frage ich und setze vorsichtshalber schon mal eine Büßermiene auf, weil Tommi mir sicher gleich einen strengen Blick zuwerfen wird.
«Klar.» Lisa holt einen eigens für den Abend angeschafften, biologisch angebauten Rotwein aus der Küche und reicht ihn Tommi. Der öffnet die Flasche mit der Sorgfalt eines Sommeliers, der gerade im Begriff ist, den legendären 1787er Château Lafite mit den Initialen von Thomas Jefferson zu dekantieren. Dann kredenzt Tommi mir vorsichtig ein paar Tropfen.
«Der hat keinen Kork», sage ich leicht patzig.
Tommi sieht mich erstaunt an.
«Ein Wein mit Schraubverschluss kann keinen Kork haben», füge ich hinzu.
«Ich weiß», antwortet Tommi, immer noch erstaunt. «Deswegen habe ich dir ja auch gleich eingeschenkt.»
Ach so. Da liegt das Missverständnis. Das halbe Schlückchen in meinem Glas soll die Ration für den Abend sein. Vielen Dank, lieber Tommi, sehr großzügig. Die Hälfte hätte es aber auch getan, im Grunde würde es sogar reichen, wenn ich mir hinter jedes Ohr ein Tröpfchen Wein tupfte, dann könnte ich mich am Duft berauschen.
Demonstrativ kippe ich den Wein in einem Zug, gieße mir ordentlich nach und sehe aus den Augenwinkeln mit Genugtuung, wie Tommi einen Flunsch zieht.
Wo waren wir gerade? Ach ja, Jennifer hatte mit breitem amerikanischem Akzent von der berühmten Detroiter Eishockeymannschaft erzählt. Jenny, wie wir sie nennen sollen, ist ein Eishockey-Fan, hat früher oft mit ihren Brüdern gespielt. Das hält sie aber für nichts Besonderes, eigentlich habe jeder Detroiter ein Faible für Wintersport, das bringe eine Stadt mit langen, kalten Wintern nun einmal so mit sich.
Die Bratlinge schmecken wie das, was man nach dem Braten eines Steaks aus der Pfanne kratzen kann, vorausgesetzt, man hat das Steak nicht gewürzt. Der Sprossensalat passt perfekt, denn auch er schmeckt praktisch nach nichts.
Jenny ist nicht gerade eine packende Erzählerin, deshalb höre ich nur mit halbem Ohr zu und versuche zu erraten, was es wohl zum Dessert gibt. Sicher keine Süßigkeit, weil das den Zähnen schaden würde. Ich tippe auf Obst, alternativ auf Biokäse. Selbstverständlich Hartkäse, weil Weichkäse zu viel Fett enthält. Dann geht mir auf, dass ich mit Käse vermutlich sehr richtig liege, weil heute ausnahmsweise Wein im Haus ist. Der soll wahrscheinlich zum Käse gereicht werden. Spontan keimt in mir der Plan auf, die Flasche noch während des Hauptgangs leer zu saufen, um Tommi zu ärgern. Ich schwöre, er hat nur eine Flasche gekauft, weil das seiner Meinung nach für drei erwachsene Menschen völlig ausreicht. Da Lisa meine Provokation wittern würde, verwerfe ich den Plan jedoch wieder und nippe bedächtig an meiner Rotweinpfütze.
Jenny plappert gerade über die Detroiter Musikszene, über Rhythm and Blues, Soul, Rap, und findet dabei mühelos den Übergang zu Eminem und dem Film «8 Mile», den ich noch nicht gesehen habe, was ich zu Protokoll gebe, weshalb Jenny mir ausführlich erzählt, worum es geht, und dabei meinen Plan, mir den Film auch künftig nicht anzusehen, festigt.
Zum Dessert gibt es drei Hartkäsesorten, geschmacklich sind sie kaum auseinanderzuhalten, liefern aber immerhin einen guten Vorwand, um Wein nachzugießen.
Sophie ist bislang merklich still gewesen. Jetzt glaube ich zu beobachten, dass sie ein wenig unruhig wird. Offenbar ist der große Augenblick gekommen, in dem sie uns mitteilt, dass sie ebenfalls Austauschschülerin werden möchte. Ich schiebe mir ein Stück Parmesan in den Mund, gieße raubauzigen Landwein nach und freue mich auf Tommis Gesicht, wenn er die Neuigkeiten
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