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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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meine Füße das Laub knistern ließen, wenn ich die Straße entlanglief. Jetzt jedoch ist mir ständig kalt, heute mehr als je zuvor. Zumindest kann ich noch im Gras liegen und zu den Sternen aufschauen. Ich kann noch immer über mein eigenes Grab wachen.
    Da ist nach wie vor ein kleiner Teil von mir, der hofft, dass ich einen flüchtigen Blick auf meine Mutter erhaschen werde: auf ihren Geist, auf ihre Seele, auf was immer. Doch sie ist nirgends zu sehen. Zu Lebzeiten waren wir uns so ähnlich; im Tode befinden wir uns an vollkommen unterschiedlichen Orten. Die Tatsache, dass sie selbst jetzt nicht hier ist, um mich zu trösten, macht mich unglaublich einsam. Je mehr Zeit vergeht, umso stärker ist das Gefühl, dass ich sie vielleicht niemals wiedersehen werde. Ich habe große Angst, dass ich für alle Zeiten hier auf der Erde festsitze, mit Alex, und wir beide durch Noank geistern, während alle anderen mit ihrem Leben weitermachen und vergessen, dass wir jemals existiert haben.
    An einem besonders kalten Abend Mitte Oktober, nachdem wir den ganzen Tag auf dem Friedhof verbracht und uns die Beerdigung einer alten Frau angeschaut haben, die friedlich eingeschlafen ist (ihre Verwandten weinen kaum und merken mehr als einmal an, dass ihre Zeit gekommen war), kommt Caroline in der Dämmerung vorbei und tritt schweigend an mein Grab.
    Sie trägt ihr Cheerleader-Kostüm; abends muss ein Footballspiel stattgefunden haben, und vermutlich ist sie von der Schule geradewegs hierhergegangen. Auf dem ansonsten so tristen Friedhof wirkt sie lächerlich fehl am Platz: Ihr Haar ist zu zwei hohen Pferdeschwänzen gebunden, auf ihre Wangen ist NH für »Noank High« gemalt. Ihre Pompoms baumeln an ihrer Seite. Sie legt sie an meiner Grabstätte auf den Boden und bedenkt sie mit einem argwöhnischen Blick, als würde sie damit rechnen, dass ich meine Hand aus der Erde strecke und sie packe.
    Wie so viele andere Menschen, die auf den Friedhof kommen, um mich zu besuchen, kniet sie vor meinem Grabstein nieder und nimmt sich einen Moment Zeit, um die Buchstaben auf meinem Stein mit den Fingern nachzufahren.
    Alex beobachtet Caroline. »Scheint, als würde sie dich wirklich vermissen. Du sagtest, sie war eine deiner besten Freundinnen?«
    »Ja, das war sie.« Ich schaue Caroline an und wünschte, ich könnte sie umarmen. Offensichtlich ist sie immer noch aufgewühlt wegen meines Todes. »Sie war mehr als nur eine gute Freundin«, erkläre ich Alex. »Sie ist ein guter Mensch, ob du mir das nun glaubst oder nicht.«
    Ich rechne damit, dass er das mit irgendeinem geistreichen Kommentar quittieren wird, aber er sagt nichts.
    Caroline erhebt sich, streicht die nicht existenten Falten aus ihrem perfekt gebügelten Rock und rafft ihre Collegejacke eng um ihren Körper. »Hi, Liz«, sagt sie. Sie tritt mit ihren Zehen nach der Erde. »Tut mir leid, dass ich noch nicht hier war, um dich zu besuchen. Ich mag Friedhöfe nicht besonders. « Sie sieht sich um. »Als ich ein kleines Mädchen war, hat mein Dad meinen Schwestern und mir gesagt, dass wir die Luft anhalten müssten, wann immer wir an einem Friedhof vorbeikommen; andernfalls würden wir die Seelen der Toten einatmen und von ihnen besessen werden. Ich weiß, dass das albern ist, aber irgendwie hat es mir Angst eingejagt.« Sie hält inne. »Ich weiß, dass du mich deswegen für dämlich halten würdest. Außerdem nehme ich an, dass du nicht einmal dann Besitz von mir ergreifen wollen würdest, wenn du tatsächlich hier irgendwo sein solltest.« Und sie blickt auf ihre Beine hinab. »Selbst im Tode würdest du nicht in einem Körper mit so stämmigen Knöcheln stecken wollen.
    Ich möchte dir einfach ein paar Dinge erzählen«, fährt sie fort. »Dinge, die ich dir niemals gesagt hätte, als du noch am Leben warst. Denn, Liz, du musst wissen, es war nicht einfach, deine Freundin zu sein. Ich weiß, dass du nett sein wolltest. Du warst nicht absichtlich ein schlechter Mensch. Manchmal jedoch habe ich mich gefragt, warum ich überhaupt so viel Zeit mit dir verbracht habe. Erinnerst du dich an die Partys, die ich letztes Jahr geschmissen habe? Meine Eltern waren in Ägypten. Erinnerst du dich daran? Sie waren einen ganzen Monat lang weg, und du und Josie, ihr habt mich dazu überredet, jedes Wochenende eine Party zu geben, solange sie fort waren. Ihr habt mir versprochen, mir jedes Mal danach beim Aufräumen und Saubermachen zu helfen, aber das habt ihr nur ein einziges Mal gemacht, am

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