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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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offensichtlich, dass das vollkommener Schwachsinn ist. Sie ist bloß ein verängstigtes Kind, so wie meine übrigen Freunde auch, entsetzt und am Boden zerstört. Ich weiß wirklich nicht, wie sie jemals ohne mich zurechtkommen soll.
    »Hypoglykämisch?«, fragt Alex. »Was bedeutet das?«
    »Nichts Schlimmes«, sage ich. »Das heißt bloß, dass mein Blutzucker dann zu niedrig ist. Das passiert, wenn ich nicht genügend esse.«
    »Du meinst, wie Diabetes?«
    »So in der Art. Aber ich bin keine Diabetikerin, mir wird nur häufig schwindlig. Wie Josie schon sagte, manchmal werde ich auch ohnmächtig.«
    »Also, das ist interessant.«
    »Ja«, stimme ich zu, »das ist es. Ich war letztes Jahr im Krankenhaus, weil ich auf der Treppe das Bewusstsein verlor. Ich hatte eine Gehirnerschütterung«, sage ich, beinahe strahlend, ermutigt davon, dass ich mich an diese Einzelheit erinnere. »Und ich habe vergangene Nacht etwas getrunken… eigentlich soll ich nichts trinken.«
    Er nickt. »Und jetzt sieh dir an, was passiert ist. Du bist tot. Hast du im Biologieunterricht denn gar nichts gelernt, als der menschliche Körper dran war?«
    Ich werfe ihm einen kühlen Blick zu. »Kein Wunder, dass du nicht sonderlich beliebt warst. Du bist nicht sehr nett.«
    Er starrt einfach zurück. »Nett zu sein hat nicht das Geringste mit deinem Beliebtheitsgrad zu tun. Das solltest du doch wohl am besten wissen.«
    Ich schließe einen Moment lang die Augen. Er hat recht. Ich sollte versuchen, nett zu sein. So höflich wie möglich sage ich daher: »Also, ich habe dich jetzt zweimal darum gebeten, den Mund zu halten. Ich versuche zuzuhören.«
    Joe überfliegt die Notizen, die er in sein winziges Spiralnotizbuch gemacht hat. »Nun … In Ordnung. Ist das alles, was ihr zu Protokoll geben wollt? Dass ihr eingeschlafen seid, und als ihr aufwachtet, war Liz fort?«
    »Das stimmt«, sagt Mera.
    »Und dann beschloss jemand, nach ihr zu suchen?«
    Mera nickt. »Das war ich.«
    »Wie lange nach dem Aufwachen war das? Zehn Minuten? Eine Stunde?«
    Meine Freunde schauen einander an. Schließlich sagt Richie: »Das kann nicht später als fünfzehn Minuten danach gewesen sein. Wir haben Mera zum Haus hochgeschickt.« Er schluckt. »Doch da brauchte sie gar nicht hin. Sie ging nach draußen und hat Liz sofort entdeckt.«
    Joe nimmt sich einen langen Moment Zeit, um jeden meiner Freunde zu mustern. Er starrt meine Eltern an. Mir fällt eine gewisse Weichheit in seinen Augen auf, einen Hang zu Emotionen. Für ihn ist das hier auch nicht leicht. Er weiß, wer ich war; ich wäre nicht überrascht, wenn er sich an Richie und mich erinnert, aus jener Nacht vor ein paar Monaten. Zwei verliebte Teenager, die nach dem Abschlussball die Fenster ihres Wagens beschlagen lassen.
    »Dann haben wir hier also ein kleines Rätsel«, murmelt er. »Na, das ist doch mal was, oder?«
    Schweigen. Die Stille an Bord des Bootes ist unnatürlich, befeuert von stummem Entsetzen und Kummer.
    Joe schließt sein Notizbuch. »In Ordnung. Das war’s fürs Erste, Kinder. Aber ich werde mit euch allen in Verbindung bleiben müssen. Also, ihr wisst schon, bleibt in nächster Zeit in der Gegend.« Er sieht meine Eltern an. »Mr. und Mrs. Valchar, wir werden Sie beide direkt auf dem Revier benötigen.«
    Sie sagen nichts. Nicken bloß.
    Alex und ich folgen Joe und seinem Partner, Shane, auf den Pier hinaus. Sobald sie außer Hörweite des Bootes sind, bleiben sie stehen.
    »Glaubst du das?«, fragt Shane.
    »Was soll ich glauben? Dass ein achtzehn Jahre altes Mädchen mitten in der Nacht ins Wasser gefallen und ertrunken ist, ohne dass es irgendjemand mitbekommen hat?« Er wirft einen langen Blick auf das Boot meiner Eltern. »Ich weiß es nicht. Sie war kein unbeschriebenes Blatt. Ich schätze, wir müssen abwarten, was die medizinische Untersuchung ergibt. « Er scheint nachzudenken. »Vermutlich war es ein Unfall. Meiner Einschätzung nach.«
    »Aber die Sache hört sich irgendwie verdächtig an«, beharrt Shane. »Findest du nicht? Genau wie dieser Haufen Lügner da drin, mit dieser lausigen Geschichte, die sie um jeden Preis aufrechtzuerhalten versuchen.«
    »Verdächtig«, wiederholt Joe. »Ha.« Er klopft Shane auf die Schulter. »Du siehst dir zu viele Wiederholungen von Law and Order an, weißt du das? Das hier ist nicht New York City. Ich bin sicher, ihre Freunde haben nicht einfach mal so eben beschlossen, sie umzubringen.«

5
    Bevor die Leute mich als »das tote Mädchen«
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