Manche Maedchen raechen sich
auf Dr . Fadden.
„Brian, ich muss mit Ihnen reden. Sofort.“
Dr . Fadden sieht mich an, zuckt mit den Schultern und steht auf. Noch ehe die Tür ins Schloss gefallen ist, beginnt das Geschrei. Ich bin’s gewöhnt. Meine Eltern haben sich auch immer angeschrien.
Mein Blick fällt auf Dr . Faddens Notizbuch und seinen Pappordner. Ich schaue mich im Zimmer um und begutachte die weißen Wände. Das könnte wieder eine Falle sein. Vielleicht ist eine der Wände aus Spiegelglas, durch das sie mich beobachte n …
Nein, die Wände sind eindeutig aus Stein. Jedenfalls glaube ich kaum, dass die Regierung genug Geld hat, um in eine Spionagetechnologie zu investieren, mithilfe derer man Spiegel herstellen kann, die wie hässliche Siebzigerjahre-Gemäuer aussehen. Vielleicht vertraut der Doktor mir einfach.
Idiot.
Ich beuge mich über den Tisch und schnappe mir das Notizbuch. Ich frage mich, wer es ihm geschenkt hat. Es sieht teuer aus und riecht erdig, wie das Parfüm von Tom Ford, das mein Vater immer benutzt hat. Ich betrachte den Einband genauer und zucke zurück, als ich mit der Nasenspitze dagegenstoße. Drei Frauen starren mich aus leeren Augen an. Auf ihren Köpfen winden sich Schlangen. Vor Schreck lasse ich das Buch fast fallen.
Dann versuche ich es aufzuschlagen, doch meine Hände wollen mir nicht gehorchen. Abgefahren.
Ich seufze und lege das Buch zurück auf den Tisch. Ich kann das nicht. Ich will nicht wissen, was er über mich geschrieben hat. Was er über mich denkt. Im Augenblick möchte ich nicht einmal selbst über mich nachdenken. Später werde ich einfach behaupten, dass ich ein schlechtes Gewissen gehabt hätte, in seinen Privatsachen herumzuschnüffeln.
Aber der cremefarbene Ordner ist etwas anderes. Der ist bloß ein gewöhnliches, ramponiertes Stück Pappe und nirgendwo steht: „Finger weg!“
Ich ziehe das Foto von Lexi heraus, das Dr . Fadden mir vorhin gezeigt hat. Darunter entdecke ich ein Foto von Ella.
Sie sieht echt schlimm aus. Dieser Anblick flößt mir sofort wieder Leben ein. Ich könnte Kopien von dem Bild machen und sie in der ganzen Schule aufhängen, mit einer Sprechblase dazu: „Hallo, ich bin Ella und wurde endlich von der Modepolizei verhaftet, weil ich so beschissen aussehe.“ Das würde ihr nur recht geschehen.
Aber was rede ich denn da? Die Schule ist vorbei. Nächstes Jahr werden alle auf die Uni gehen. Viele auf prestigeträchtige Universitäten in Großbritannien und den USA. Sie werden zum ersten Mal weit weg von zu Hause wohnen.
Und wo werde ich sein?
Im Ordner ist auch ein Foto von mir. So sehe ich also als Verbrecherin aus. Wie eine Nutte in Handschellen. Von meinem Gesicht ist vor lauter Wimperntusche fast gar nichts zu erkennen. Als ich mich für das Foto vor die Wand stellen musste, wollte ich eigentlich Grimassen schneiden. Aber am Ende stand ich nur stocksteif da, mit dem Schild vor der Brust, weil ich so eine Angst hatte. Die Haarsträhnen, die mir ins Gesicht fallen, sehen aus wie blutende Schnitte.
Und da ist auch ein Bild von Marianne. Überrascht stelle ich fest, dass Marianne auf ihrem Verbrecherfoto gar nicht so schlecht aussieht. Sie hat trockene Lippen und schlaffes Haar, aber sie strahlt eine große Ruhe aus. Fast wie ein Engel. Fast unschuldig.
Und dennoch hallen die Worte in meinem Kopf wider: Er kotzt mich an. Mach das Arschloch kalt!
Es ist zum Verzweifeln. Ohne Marianne fühle ich mich plötzlich schwach. Sie fehlt mir. Ich war die ganze Zeit so damit beschäftigt, sie runterzumachen, dass ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, wie einsam ich ohne sie sein würde.
Mein Magen gibt ein lautes Grollen von sich. Ich bin am Verhungern. Mir fällt auf, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe.
„Wenn man Magersüchtige sieht, denkt man immer, dass es total einfach ist, durch Hungern schlank zu bleiben. Aber es ist ein verdammt harter Weg“, sagte Lexi und schlang ein Toastbrot-Sandwich herunter. Dabei war heute Mittwoch und mittwochs wollte Lexi das Mittagessen ja eigentlich ausfallen lassen.
Es war ein sonniger Tag und ich hatte gute Laune. Wir saßen auf der Wiese am See. Über uns kreisten Schwalben. Schwarze Sicheln am Himmel, die im Sturzflug niedersausten und beinahe mit ihren Bäuchen das Gras berührten. Lexi sagt immer, Schwalben sähen aus wie Klingen und brächten Unglück. Ich gebe den Schwalben keine Schuld. Nicht mehr.
„Du Arme“, sagte Marianne und beobachtete Lexi
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