Mandys Verlangen
Ohr weghielt. »Er ist tot, Clemens! Und das, weil ich nicht zu erreichen war. Miller will es melden. Er hat mich nach Hause geschickt.«
In Clemens stieg ein mulmiges Gefühl auf.
»Auf welcher Station lag der Patient?«, wollte er wissen.
»Das ist doch egal!«, kreischte Tammy völlig außer sich. »Er ist tot, Clemens, verstehst du? Und ich bin schuld.«
»Auf welcher Station ist es passiert?«, hakte Clemens eiskalt nach. Sein zwingender Ton brachte Tammy halbwegs zur Vernunft.
»Auf der Chirurgie.« Die Worte wurden von heftigen Schluchzern unterbrochen. »Ja, auf der Chirurgie. Dr. Miller war da …«
Die Worte flossen ungehört an Clemens’ Ohr vorbei. Er atmete auf. Gott sei Dank war es nicht auf seiner Station geschehen! Der Aufsichts- und Ethikrat des Krankenhauses sowie Mrs. Clarkson, die Chefärztin, hatten ihn sowieso schon wegen zwei verpatzten Therapien im Auge. Mitschuldig an einer derart krassen Dienstverfehlung zu sein, wie Tammy sie sich geleistet hatte, kam für Clemens nicht infrage.
»Clemens, Darling, bist du noch dran?« Tammys Stimme hatte wieder diesen schrillen Klang angenommen, der Clemens direkt in die Nervenbahnen schnitt.
»Verdammt, Tammy, was soll ich da machen?«, blaffte er ungeduldig ins Telefon. »Du hättest eben auf deinem Posten bleiben müssen.«
Auf der anderen Seite herrschte sekundenlang verblüfftes Schweigen.
»Aber du hast doch …« Tammy flüsterte nur.
»Was habe ich?«, fragte Clemens unfreundlich.
»Du hast gesagt, dass du mir hilfst!« Die Verzweiflung ließ Tammys Stimme schrill klingen. »Du hast gesagt, dass du wichtige Leute kennst, die du einschalten wirst, falls etwas passiert. Clem!« Sie schluchzte auf. »Clem, bitte, du darfst mich jetzt nicht im Stich lassen.«
»Du bist wohl verrückt geworden!« Clemens wollte das Gespräch schon wütend beenden, aber Tammys Antwort ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren.
»Glaub ja nicht, dass du so einfach davonkommst«, warnte sie ihn. »Wenn du mir nicht hilfst, packe ich aus und erzähle denen, weshalb mein Pager ausgeschaltet war.«
Eilig hob Clemens das Handy wieder ans Ohr.
»Wage es ja nicht, meinen Namen ins Spiel zu bringen«, warnte er sie. Seine Stimme hatte einen drohend dunklen Klang, der seine Wirkung auf Tammy nicht verfehlte. »Ich jage dir ein ganzes Rudel von Anwälten auf den Hals, wenn du auch nur die leiseste Andeutung machst.«
Er beruhigte sich wieder.
»Im Übrigen bist du lange genug in diesem Beruf, um zu wissen, dass du dir einen solchen Fehler nicht erlauben darfst«, erklärte er Tammy eisig. »Ich kann mich der Meinung des Kollegen Miller nur anschließen. Als Schwester bist du ab sofort untragbar.«
»Clemens!« Tammy schrie jetzt so laut, dass Clemens’ linkes Ohr zu klingeln begann.
»Leb wohl«, sagte er kalt. Diesmal wartete er nicht ab, was Tamara darauf antworten würde. Er unterbrach die Verbindung, bevor sie etwas sagen konnte, und warf das Handy aufs Sofa.
Im nächsten Moment musste er laut auflachen. Meine Güte, wie naiv dieses kleine Flittchen war! Sie hatte tatsächlich geglaubt, dass er sich für sie einsetzen würde. Was glaubte sie denn, wer sie war? Hatte sie sich wirklich eingebildet, dass er seine Karriere für sie aufs Spiel setzte?
Und dass sie ihm drohte?
Was konnte sie schon gegen ihn ausrichten?
Andererseits …
Clemens blieb mitten im Zimmer stehen. Angestrengt überlegte er, welche Mittel Tammy zur Verfügung standen, um ihm zu schaden. Aber dann kam er zu dem Schluss, dass sie sich nur selbst schaden würde, wenn sie erzählte, dass sie sich mit ihm vergnügt hatte, während der Patient gestorben war. Sollte sie aber tatsächlich so dumm sein, dem Untersuchungsausschuss diese Geschichte aufzutischen, so würde Clemens alles abstreiten.
Nein, noch besser, er würde behaupten, dass sie log und sich an ihm rächen wollte, weil er sie hatte abblitzen lassen.
Ja, das war gut, sehr gut sogar! In Gedanken versunken nickte Clemens, als müsste er sich selbst von der Genialität dieser Argumentation überzeugen.
Er würde dem Ausschuss erzählen, dass er mit Tammy ein kleines Techtelmechtel gehabt, dies aber rasch beendet hatte, weil er verlobt war und seine Braut liebte. Tammy hatte sich von der Liebelei jedoch mehr versprochen und ihm gedroht, sich bei passender Gelegenheit für die Abfuhr zu rächen. Danach hatte sie ihn sogar noch zwei Wochen lang mit nächtlichen Anrufen belästigt, in denen sie ihn beschimpft hatte.
Das Ganze
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