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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Spezialität
waren eher die kostspieligen Abendessen gewesen. Er gluckste bei der Erinnerung
an den alten Witz, den man sich während seiner Ausbildung in der Firma erzählt
hatte - Frage: Worauf versteht sich Withers am besten? Antwort: auf Desserts.
    Dennoch, er hatte sein Handwerk gelernt, und jetzt war er hier in H.
Bensons Wohnung und spürte das stechende Kribbeln der Furcht. Ganz anders, als
wenn man sich bei einem Glückstreffer von Pfeilen durchbohrt fühlt, dachte er.
    Er erinnerte sich auch an die erste Maxime für Einbrüche auf dem
Territorium der Gegenseite: Das Eindringen ist einfach, doch es kann
kompliziert sein, den Kopf wieder aus der Schlinge zu ziehen. Oder einfacher
ausgedrückt, wie es jeder Einbrecher, Ganove oder selbsternannte Lothario weiß:
Reinkommen ist leicht, verschwinden schwierig.
    Folglich sah er sich als erstes nach einem zweiten Fluchtweg um. Die
Feuerleiter führte an einem Küchenfenster vorbei und würde genügen, falls H.
Benson, ein neugieriger Nachbar oder ein noch neugierigerer Cop unerwartet auftauchte.
Dann ging er ins Badezimmer, das, wie jeder vulgäre Partygast bestätigen kann,
am schnellsten über die Gastgeber Auskunft gibt.
    Als erstes fiel Walter das Fehlen bestimmter Gegenstände auf. Keine
Frauenkosmetika, kein Haarspray, kein Parfüm. Keine Chi-Chi-Handtücher, keine
rosafarbenen Seifen, keine Nylonstrümpfe, die auf der Leine hingen.
    Hier lebt keine Frau, dachte Walter.
    Zwei Zahnbürsten, eine blau, eine rot — auf dem Regal.
    Er öffnete den Medikamentenschrank. Eine Flasche Aspirin, eine Tube
Zahnpasta, ein kleines Mundwasserfläschchen. Zwei Rasierer und Rasiercreme. Er
zog den Duschvorhang zur Seite. Auch dort kein Rasierer im Regal.
    Walter spürte, wie ihm die Waden steif wurden. Kein Truthahnwatscheln,
dachte er und holte tief Luft. Keine imaginären Schritte auf der Treppe.
Arbeite schnell, arbeite sauber, erledige deine Arbeit und verschwinde.
    In der Schlafzimmergarderobe fand er ein paar Cordjacken, Größe 42,
ein paar graue Twillhosen, ein paar Slipper aus Ziegenleder und ein paar alte
Turnschuhe. Alles paßte zu Howards Körperbau. Interessanter waren die Kleidungsstücke,
die Michael Howard nicht paßten: eine schwarze Lederjacke, Größe 38; drei Paar
Latzhosen, Taille 32, Länge 34; schwarze Schaftstiefel, Größe 8. Ein paar weiße
Hemden, Kragen 15, Ärmel 32. Männerkleidung.
    Howards Geliebte war ein Mann.
    Dann durchsuchte Walter die Kommode. Untere Schublade leer. In der
mittleren Schublade Männerunterwäsche, Socken, ein paar T-Shirts. Größe medium.
Zu klein für Howard. In der oberen Schublade mehr davon, aber Größe »L«.
    Das ist vielleicht ein Job, dachte er, als er unter Howards intimer
Wäsche herumwühlte. Er war dankbar, daß Howard im Augenblick nicht darin
steckte.
    »Es ist eine traurige Welt voller Mißtrauen«, murmelte er leise, als
er eine dünne lederne Brieftasche sah. Er zog sie mit Daumen und Mittelfinger
heraus und klappte sie auf.
    Auf dem Führerschein stand »Howard Benson«, doch die Beschreibung
paßte zu Michael Howard, 1,86 Meter, braunes Haar, braune Augen. Die
Unterschrift stimmte mit der Handschrift von Howards Bewerbung überein. Das »Howard«
war identisch.
    Die Unterschriften auf den Kreditkarten von American Express und
Diners Club erzählten die gleiche Geschichte: Howard Benson war Michael Howard.
    Wann, o wann werden Amateure endlich ein bißchen kreativer bei der
Wahl der falschen Namen werden? fragte sich Walter. Wenn man ein Doppelleben
führt, gehören ein paar Pflichten dazu, darunter die, daß man sich ein wenig
anstrengen muß. »Howard Benson«, wirklich.
    Jack in der Stadt und Ernest im Vorort, dachte Walter, dem
passenderweise Oscar Wildes Ernst sein ist alles einfiel.
    Doppelzüngig sein ist alles, dachte Walter. Besonders im Amerika der
letzten Tage des Jahres 1958. Nun, die große Beförderung wird weder Michael
Howard noch Howard Benson bekommen, dachte Walter. Homosexuelle sind im Casino
für leitende Angestellte personae non gratae. Unerwünscht.
Bedauerlicherweise war die Möglichkeit, daß Howard etwas mit Industriespionage
zu tun hatte, damit noch nicht vollständig ausgeschlossen. Also mußte er noch
Howards Liebhaber ausfindig machen und bestätigen, daß es eine rein sexuelle
Beziehung war.
    Rein sexuell, dachte Walter. Das ist doch der Lacher des Tages. Rein
sexuell.
    Du sollst nicht Pause machen und nachdenken, ermahnte sich Walter. Du
sollst dir auch keine Zeit für

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