Manöver im Herbst
Krieg nicht genug für dich …«
»Ich habe doch meine Kompanie. Im übrigen wird es noch schneller gehen als im Egerland. Es wird nicht mehr sein als ein ganz großes Manöver.«
»Und die Toten … Wenn du …« Amelia lief auf Heinrich Emanuel zu und umklammerte ihn. »Wenn dir etwas passiert … Vier Jahre habe ich gezittert … Tag und Nacht … Und jedesmal, wenn ein Brief kam, habe ich geweint vor Freude: Er lebt. Von wann ist das Datum … vom 21. September 1915 … Also am 21. September lebte er noch … Und so habe ich vier Jahre lang die Tagesstempel erwartet … von Brief zu Brief … Und immer habe ich gejubelt … vor drei Tagen lebte er noch. Aber gestern, und heute und jetzt … lebt er jetzt noch? Soll das alles wieder so werden wie damals?«
»Es gab bisher keine Generation, die nicht einen Krieg erlebte. Wir müssen uns damit abfinden. Glauben wir, daß alles gut geht …«
Am 30. August, morgens sieben Uhr, rückte die 1. Kompanie aus Rummelsburg an die Grenze. Einige Frauen gingen neben den marschierenden Kolonnen her. Aber sie warfen nicht wie 1914 Blumen und jubelten … sie weinten still vor sich hin. Nur ein paar Jungen, die früher als sonst zur Schule gingen, schrien: »Jagt die Polen in die Weichsel!«
Sie hatten es in der Schule gelernt.
Amelia, Giselher-Wolfram und Uta-Sieglinde standen am Fenster, als Heinrich Emanuel unten auf der Straße an seinem Haus vorbeiritt. Er grüßte stramm zu den Fenstern hinauf … die Kinder winkten, Amelia nickte ihm zu. Tränen verschleierten ihren Blick.
»Papa sitzt im Sattel, als hätte er schon gewonnen«, sagte Uta. Giselher winkte ihm nach.
»In Gedanken ist er schon bei der Siegesparade …«
Am 31. August 1939 – die deutschen Truppen lagen gut getarnt längs der polnischen Grenze – bringt der großdeutsche Rundfunk laufend Meldungen über neue Übergriffe der Polen gegen Reichsdeutsche und Volksdeutsche. Grenzen werden verletzt. Neue Morde werden aus Bromberg gemeldet. In Berlin versucht man verzweifelt, das Unheil von Europa abzuwenden. Tag und Nacht verhandeln der französische und englische Botschafter. Ein schwedischer Industrieller, der sowohl mit Göring wie mit den Spitzen der englischen Politik bekannt ist, hat sich als letzter Vermittler eingeschaltet. Er heißt Birger Dahlems. Auf seine Freundschaft mit Göring, auf seine neutrale Weitsicht, auf seine Argumentation, hofft die ganze Welt. Immer wieder kommt er mit neuen Vermittlungsvorschlägen, Ribbentrop ist wütend bis zur Grenze der Beherrschung … da ist ein Schwede, der dem Führer den Krieg wegnehmen will.
Auch die Polen merken, was sich vor und hinter ihnen zusammenballt. In letzter Minute, trotz Warnungen Englands, das noch an eine Vermittlung glaubt, mobilisiert Polen. Überall werden die Plakate angeschlagen. Erster Mobilmachungstag: 31. August!
Während noch die Diplomaten um den Frieden ringen, wird der Sender Gleiwitz unter Führung des SD-Mannes Naujocks von SS-Leuten in polnischen Uniformen überfallen. Vier Minuten bleibt der Sender ›in polnischer Hand‹, eine Stimme spricht in polnischer Sprache zum deutschen Volk … dann wird der Sender ›zurückerobert‹. Ein erschossener Pole bleibt als Beweis zurück. Es ist ein KZ-Häftling in polnischer Uniform.
Gleichzeitig werden bei Oppeln und am Grenzhaus Hohenlinde fast hundert in SS-Uniformen steckende KZ-Häftlinge von SS-Männern in polnischen Uniformen erschossen. Mit Maschinengewehren werden sie niedergemäht. Dann brennt man das Zollhaus nieder.
Der Kriegsgrund ist da. Gestapochef Heinrich Müller hat die Weltgeschichte aus den Angeln gehoben.
Es ist Donnerstag, der 31. August 1939, als auch bei Hauptmann Schütze der Befehl eintrifft: Der Vormarsch beginnt. Kompagnie sofort kampfbereit halten.
Im Morgengrauen bellen die ersten Geschütze los, jagen die ersten Rotten der Stukas über die Köpfe der Infanterie hinweg und stürzen sich auf die polnischen Grenzstellungen.
Um 10 Uhr vormittags, am 1. September 1939, betritt Hitler den nachts einberufenen Reichstag. Er trägt zum erstenmal einen feldgrauen Rock. Den Reichstagsabgeordneten stockte der Atem. Sie wissen noch von nichts.
»Polen hat heute nacht zum ersten Male auf unserem eigenen Territorium durch reguläre Soldaten geschossen«, schreit Hitler in die Mikrophone. Die ganze Welt hört atemlos mit. »Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen. Von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten!«
Und weiter: »Ein Wort habe ich nie kennengelernt:
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