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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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… Es kann – das genügt doch schon. An diesem ›kann‹ stemme ich mich empor, mit diesem ›kann‹ werde ich weiterglauben können. Bitte, bitte … sag es doch …
    Dr. Kroh nahm den Brief behutsam aus Schützes Händen und legte ihn zur Seite auf einen Untersuchungstisch, ergriff Heinrich Emanuels Hand und zog ihn zu einem Stuhl. Aber Schütze setzte sich nicht. Steif stand er da, als sei sein Rückgrat aus unbiegsamem Holz. Nur das Flackern in seinen Augen wurde zu einem irrenden Flimmern und überzog das ganze Gesicht. Ein klapperndes Frieren durchzog seinen ganzen Körper.
    »Ich gebe Ihnen einen Kognak«, sagte Dr. Kroh leise. Er ging an einen Medizinschrank, goß ein großes Glas französischen Kognak ein und hielt es Schütze hin.
    »Das … das ist doch nicht wahr …«, sagte Schütze leise. »Doktor … sagen Sie doch was.«
    »Trinken Sie.« Gehorsam schluckte er das große Glas Kognak. Der Alkohol brannte durch seinen Hals. Er schüttelte sich. Plötzlich fiel er zusammen. Der Brief flatterte auf den Boden, als er sich an dem Untersuchungstisch festhalten wollte. Erst auf dem Stuhl wurde er wieder klar. Er umklammerte die Hand Dr. Krohs. Ein Ertrinkender im eigenen Schmerz. »Er ist tot –«
    »Ein Krieg ist die Bestrafung der Mütter und Väter –«
    »Bestrafung? Was habe ich getan?!« schrie Schütze auf.
    »Sie haben den Krieg gewählt. Es ist hart, das zu sagen … gerade jetzt … aber es ist auch der einzige Trost, der möglich ist. Die eigene Schuld.«
    »Ich habe meinen Jungen nicht in den Krieg geschickt.«
    »Aber Sie haben den Mann gewählt, der diesen Krieg wollte. Sie haben ihm zugejubelt, Sie haben ihn ›Führer‹ genannt, Sie haben geduldet, daß er maßlos wurde und zum Mörder an Hunderttausenden Deutschen. Sie haben –«
    »Haben Sie das nicht auch getan? Alles das, Doktor?«
    Dr. Kroh nickte. »Ja. Ich leugne es nicht. Auch ich bin mitschuldig. Alle, Herr Major, die auch heute noch diesem Manne zujubeln, blind vor den Siegen, die er ihnen schenkt, blind vor den Regimentern von Toten, die mit ihrem Blut seinen Ruhm schreiben sollen. Wir haben in den Geschichtsbüchern, in der Schule, immer gelesen von dem Wahnsinn der Cäsaren, von Nero, Caligula, Vespasian, und wir haben uns immer – als Kinder schon – darüber gewundert, daß solche Menschen regieren konnten, daß nicht einer oder zwei oder ein ganzes Volk aufstanden und sie wegjagten. Ein Schauer ergriff uns, wenn wir lasen, daß Nero das halbe Rom anstecken ließ, um es als neues Troja mit der Harfe besingen zu können. Warum sehen wir so weit zurück? Leben wir nicht in der gleichen Blindheit wie die von uns unverstandenen Römer? Kriechen wir nicht auch im Sand der Arenen, die man jetzt Rußland, Norwegen, Frankreich, Holland, Belgien, Jugoslawien, Griechenland nennt, und schreien uns die Kehle wund wie einst die Gladiatoren: ›Die dem Tode Geweihten grüßen dich!‹ Sind wir anders?« Dr. Kroh wandte sich ab. Er konnte den irrenden Blick Schützes nicht mehr ertragen. »Jeder kommende Tag des Krieges ist unsere Schuld. Unsere Trägheit – das ist unsere geschichtliche Schuld –«
    Schützes Kopf pendelte hin und her. Er verfiel sichtlich. Er bückte sich, hob den Brief auf und starrte wieder auf die Stempel, die den Namen seines Sohnes zerschnitten. Zurück – Gefallen – Zwei schwarze Worte, irgendwo in einer Schreibstube auf das Kuvert geschlagen … das blieb übrig von einem Menschen.
    Heinrich Emanuel lehnte sich zurück und schloß die Augen. Unter den Lidern her quollen Tränen. Er wischte sie nicht weg … sie rollten wie kleine silberne Kugeln über sein rundes Gesicht, die Nase entlang, über die Lippen.
    Siebenmal habe ich dir ein Schwert geschenkt, Christian. Und siebenmal hat deine Mutter es zerbrochen. Damals warst du sechs oder sieben Jahre alt. Und zum Hermannsdenkmal nach Detmold sind wir gefahren, und ich habe dir erzählt von den germanischen Helden, von den großen Kriegen, von … von … der Mannesehre, für das Vaterland zu sterben. Ja, das habe ich dir erzählt … sieben Jahre warst du alt. Und deine Augen glänzten, deine Händchen waren ganz heiß. ›Ich werde auch einmal ein Held, Papa!‹ hast du gerufen – Und ich war stolz, so stolz. Mein Junge, dachte ich. – Ja, er wird einmal ein Held … Und nun liegst du irgendwo in Rußland, über dir ein Birkenkreuz mit deinem Stahlhelm …
    »Sie sind nicht allein, Herr Major.« Die Stimme Dr. Krohs riß Schütze in die Gegenwart

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