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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ändern … wir müssen es ertragen … Und dann? Was soll ich dann sagen? Sie wird mich anschreien: Es ist dein Krieg –«
    »Wie treffend die Mütter die richtigen Worte finden. Man sollte die Worte von Müttern gefallener Söhne sammeln … in der ganzen Welt sammeln … und zu einem dicken Buch drucken lassen. Und dieses Buch sollte man zur Pflichtlektüre jedes Politikers machen. Man sollte sie zwingen, alles zu lesen, von Seite 1 bis Seite 2.000! Jedes Wort der Mütter. Auswendig sollten sie sie lernen. Und dann sollte man sie fragen: Was habt ihr daraus gelernt? – Wissen Sie, was sie antworten werden? ›Bei uns ist das anders. Wir machen das anders.‹ – Bis zum nächsten Krieg. Politiker sein heißt, den eigenen Geist zum kleinen Gott zu erheben. Vor den Göttern aber kriecht der Mensch. Ja, man würde vielleicht sogar die Mütter samt ihren Worten töten, um ungestört Politik machen zu können.«
    »Ich werde Amelia schreiben«, sagte Schütze leise. »Wenn ich sie anrufe …, wenn ich ihre Stimme höre …, wenn ich höre, wie sie … nein … Ich kann es nicht. Ich bin kein Held. Ich bin jetzt nichts mehr als ein bestohlener Vater.«
    Am nächsten Morgen traf ein Telegramm ein.
    Wieder lief Heinrich Emanuel zu Dr. Kroh. Er war wachsbleich.
    »Sie weiß es …«, stammelte er. Dr. Kroh las das Telegramm.
    »Mama mit schwerem Nervenfieber zu Bett. Komme sofort. Uta.«
    Dr. Kroh faltete das Telegramm zusammen. Auch seine Finger bebten.
    »Was werden Sie tun?«
    »Ich fahre sofort. Ich spreche gleich mit der Division.«
    Dr. Kroh gab Schütze das Telegramm zurück.
    »Jetzt müssen Sie doch ein Held sein …«, sagte er leise.
    *
    Zweimal wurde der Urlaub Heinrich Emanuel Schützes verlängert. Nur langsam erholte sich Amelia von dem schweren Nervenfieber. Heinrich Emanuel wich nicht von ihrem Bett. Uta mußte ihm das Essen bringen, aus den Zeitungen riß sie die letzten Seiten mit den Todesanzeigen heraus, jene schrecklichen Lügen, die mit einem das Hakenkreuz tragenden Eisernen Kreuz begannen und aufhörten mit dem ungeheuerlichen Satz: In stolzer Trauer … Eine Trauer, die das Propagandaministerium bestimmte, wie es auch anordnete, wieviel Anzeigen täglich veröffentlicht werden durften. Auch die Toten hatten noch ihre Aufgabe. Sie sollten schweigen. Ein Volk, das mehr Tote als Siege sieht, wird nachdenklich. Nachdenken aber ist das letzte, was ein Deutscher darf. Nachdenken wurde von jeher als Staatsfeindlichkeit bestraft.
    Der erste Schritt ins Schlafzimmer war furchtbar. Uta hatte Heinrich Emanuel unten an der Tür empfangen. Sie hatte rotgeweinte Augen, war blaß geworden, schmal, für ihre achtzehn Jahre fast verhärmt. Zaghaft hatte Schütze ihr eingefallenes Gesicht gestreichelt.
    »Was hat Mutter gesagt?« hatte er leise gefragt.
    »Als der Brief kam – sie hat die Arme hochgeworfen, hat gellend geschrien. Dann ist sie umgefallen.« Uta senkte den Kopf. Aufweinend drückte sie das Gesicht an Schützes Brust. »Sechs Stunden war sie gelähmt … es war schrecklich. Mein Christian, hat sie immer geschrien. Mein Christian. Und plötzlich hat sie sich aufgerichtet und ganz schrill gerufen: Gebt mir meinen Giselher zurück! Ich will meinen Giselher wiederhaben … Holt meinen Giselher zurück – Der Arzt hat ihr drei Spritzen geben müssen, bis sie endlich einschlief.«
    »Und – jetzt –« Schützes Stimme war heiser, kaum hörbar.
    »Jetzt ist sie völlig apathisch.« Uta umklammerte seine Hände. »Es ist gut, daß du gekommen bist, Papa. Ich habe solche Angst um Mutti …«
    Vor der Schlafzimmertür hatte er noch einmal gezögert. Es war ihm, als stoße er einen Raum auf, an dessen Wand ein Galgen montiert war.
    Als er eintrat, saß Amelia, mit Kissen im Rücken gestützt, im Bett. Vor ihr lag der Brief. Ihre Hände hatten ihn umfaßt und hielten ihn, als läge er in einer Schale.
    Sie sah zur Seite, als die Tür knarrte. Hob die Arme, der Brief flatterte zurück auf das Bett. Weit, weit breitete sie die Arme aus, über ihr bleiches, totenstarres Gesicht zuckte neues Leben … »Heinrich …«, flüsterte sie. Und dann lauter, immer lauter »Heinrich … Heinrich … Heinrich …«
    Er machte ein paar taumelnde Schritte. An ihrem Bett stürzte er in die Knie, warf die Arme um sie, verbarg sein Gesicht an ihrer Brust und weinte laut, hemmungslos. Er drückte sich an sie, und sie schlang die Arme um ihn, küßte sein zerwühltes, weiß werdendes Haar, streichelte über seinen Nacken und

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