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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Spionagebüro Canaris: Der russische Aufmarsch war die größte Truppenansammlung, die jemals stattgefunden hatte.
    Aber Hitler ließ nicht mit sich reden. Nur einmal noch verschob er den Angriff auf Rußland. Den Befehl, im Mai 1941 loszuschlagen, annullierte er. Er – der von Siegen Verwöhnte – wollte eine freie Flanke haben.
    In zwölf Tagen wurde Jugoslawien besiegt. In siebzehn Tagen gab es kein freies Griechenland mehr. Der Weg zur großen Umfassung Rußlands war damit freigeworden. Der schnelle Sieg der deutschen Armeen am Balkan, die Niederwerfung Frankreichs, der Glaube von der Unbesiegbarkeit des deutschen Soldaten, wandelte sich zum selbstmörderischen Wahnsinn.
    Am 22. Juni 1941 donnerten die deutschen Geschütze und zermahlten die Panzerketten den Staub der Landstraßen. Eine Hunderte von Kilometern lange Feuerwand wälzte sich nach Osten.
    Es war ein schicksalhaftes Datum. Am 22. Juni 1812 hatte schon einmal ein Diktator die Grenzen Rußlands überschritten und war mit seiner Großen Armee in den Eisstürmen der Steppe elend zugrunde gegangen. Napoleon.
    Am 1. Juli bekam Heinrich Emanuel einen Brief von Amelia. Ein kleinerer Brief lag dabei. Von Christian-Siegbert.
    Liebe Eltern.
Vor vier Stunden haben wir die russische Grenze überschritten. Die Sowjets wehren sich verzweifelt. Aber unsere Panzer und unsere Stukas halten eine fürchterliche Ernte unter den massierten Truppen. Gestern, vor Beginn des Einmarsches, bin ich zum Leutnant befördert worden. Ich führe eine neu aufgestellte Kompanie. Man sagte mir, ich sei der Beste im Lehrgang gewesen …
    Major Schütze gab einen kleinen Kasinoabend. Er war glücklich. Er war unendlich stolz. »Auf unseren neuen Leutnant!« rief er übermütig und trank sein Sektglas ex. Dann trank er noch ein Glas, ohne einen Toast. Für dich, Pierre, dachte er. Auch du bist Leutnant. Auch du bist mein Sohn.
    Zum erstenmal seit Jahren betrank sich Schütze. Stabsarzt Dr. Kroh und ein Hauptmann brachten ihn zu seinem Haus und legten ihn aufs Bett. Mit dem Starrsinn der Betrunkenen wollte er immer wieder aufspringen und singen, »'gen Osten woll'n wir reiten!« brüllte er. »Alle – ein Lied! Ein Lied! 'gen Osten –«
    Endlich schlief er ein. Aber seine Hände bewegten sich noch … sie dirigierten die Melodie … 'gen Osten …
    Am gleichen Tage mit Christian-Siegberts Brief war noch ein zweites Schreiben bei Amelia in Rummelsburg eingetroffen. Sie schickte es nicht nach Frankreich … sie verwahrte die wenigen Zeilen in ihrem Schrank, unter der Wäsche. Giselher-Wolfram schrieb:
    Liebe Mutter,
Krieg mit Rußland. Soeben erfahren wir es. In zwei Stunden rücken wir ab. Ich habe eine Maschinengewehrgruppe übernommen. Jetzt haben wir Zeit, noch einen Brief zu schreiben. Mutter – ich habe Angst. Rußland ist so groß … Wenn man die Karte ansieht … dieses Riesenreich, und dann dieser kleine Fleck in Europa … Deutschland … Mutter, es schnürt mir die Kehle zu. Ich habe wahnsinnige Angst. Aber schreibe das bitte nicht Vater … er würde es nicht verstehen …
    »'gen Osten woll'n wir reiten!« schrie Major Schütze im Schlaf, »… 'gen Osten –« Und seine Stiefel traten den Takt gegen das Eisengeländer des Bettes.
    Rumm … rumm … rumm …

15
    Knapp zehn Wochen später erhielt Heinrich Emanuel Schütze einen Brief an Christian-Siegbert zurück. Über die Anschrift war eine Anzahl häßlicher Stempel gedruckt. Sie zerschnitten den Namen in sinnlose Fetzen.
    Zurück an Absender.
    Gefallen für Großdeutschland.
    Heinrich Emanuel begriff es nicht. Er saß vor dem Brief, hielt ihn in der Hand, nahe vor die Augen und starrte ihn bewegungslos an. »Das kann nicht sein …«, stammelte er dabei. Ein Zucken war um seinen Mund, als löse sich das Fleisch von den Knochen. »Das kann nicht sein … nein … nein … Das …«
    Er sprang auf und rannte zu Stabsarzt Dr. Kroh. Das Kuvert weit von sich streckend, als strahle es unerträgliche Hitze aus, hielt er es dem Arzt hin.
    Dr. Kroh biß die Zähne zusammen, als er Schütze so stehen sah, hoch aufgerichtet, ein Koloß, dessen Beine zitterten und dessen Gesicht nichts mehr hatte, was einst der Major Schütze gewesen war.
    »Lesen Sie das, Doktor …«, stotterte Schütze. »Das ist doch nicht wahr … Das … das … ist doch nicht …«
    Mit flehendem Blick sah er Dr. Kroh an. Kindliche Gläubigkeit flackerte in der Tiefe seiner Augen. Sag es doch, bettelte dieser Blick. So sag es doch. Es kann ein Irrtum sein

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