Manöver im Herbst
verschwieg er, um Vater und Mutter nicht unnötig aufzuregen. Amelia kannte diese Geschichte, und auch sie schwieg und nickte brav zu allen Lobreden, die Heinrich Emanuel auf den Kaiser hielt.
»Ich glaube, wir rasseln zu laut mit den Säbeln«, sagte Franz Schütze zu vorgerückter Nachtstunde. Schlachter Sulzmann war auch gekommen. Schütze hatte einen Jungen, der im Hause wohnte, mit der Botschaft losgeschickt, daß die Braut bereits da sei. Daraufhin hatte Sulzmann einen Wirbel entfacht, war in seinen Gehrock gestiegen, hatte den Friseur aus dem Bett geworfen und sich noch einmal rasieren und die eisgrauen Haare stutzen lassen und war dann mit einer Pferdedroschke losgefahren, das neue Familienmitglied zu besichtigen.
Die Musterung fiel blendend aus. Sulzmann akzeptierte Amelia. Sie merkte es daran, daß er ihr wohlwollend mit seiner Fleischerpranke auf die Schulter klopfte und sie ›mein Kind‹ nannte. Als die Gespräche politisch wurden, zogen sich Sophie und Amelia zurück. Sophie Schütze zeigte ihren Wäscheschrank. Sie war stolz darauf. Es war etwas, was sie auch vor einer ›von‹ nicht zu verbergen brauchte.
Heinrich Emanuel sah seinen Vater strafend an.
»Mit den Säbeln rasseln. Der Kaiser weiß, was er will. Wir sind ein Volk in Waffen.«
Sulzmann nickte schwer. »Um sie nicht einrosten zu lassen, wird sich schon was tun.«
»Ihr denkt zu – verzeiht es mir – zu primitiv. Die Welt neidet uns den Aufstieg. Seit 1871 denkt man an Revanche. Aber heute stehen wir eherner da als vordem. Ein Krieg ist ein Spaziergang …«
»Aber die anderen schießen auch.«
Heinrich Emanuel sah seinen Großvater wie tief beleidigt an. Er strich seine Uniformjacke mit den neuen, blitzenden Leutnantsachselstücken glatt. Mit durchgedrücktem Kreuz saß er vor seinem Vater und Großvater.
»Euer Denken ist etwas engstirnig und spießig«, sagte er hart. »Als Offizier Seiner Majestät weiß ich, wie groß die Schlagkraft unserer Armee ist. Wenn es einen Krieg gibt … wir werden ein noch größeres 1871 erleben! Wir werden die ganze Welt in die Knie zwingen! Wir werden die stärkste Nation sein! Ein Hundsfott, wer's nicht glaubt!«
»Hast du die Zahlen gelesen, Heinrich?« wagte Franz Schütze einen Einwand. »Um uns herum haben sie alle Heere verstärkt. Fast 2,5 Millionen hat allein der Russe unter den Waffen. In England, in Frankreich, in Italien, überall rüstet man. Man hat uns eingekreist.«
»Je mehr Feinde, um so mehr Ehre!« rief Heinrich Emanuel stolz. »Der Kaiser – dem ich alles verdanke – wird einen weiteren Blick als wir haben. Und wenn es einmal zu einem Krieg kommt … steht es außer Zweifel, daß nur wir gewinnen können! Mit der blanken Waffe in der Hand jagen wir sie vor uns her wie Füchse …«
Man kam an diesem Abend zu keiner einheitlichen Linie. Schlachter Sulzmann schüttelte betrübt den Kopf, als ihn sein Schwiegersohn nach unten an die Haustür brachte.
»Unser Heinrich macht mir Sorgen«, sagte er leise. »Mit den silbernen Achselstücken hat er sein Gehirn ausgetauscht. Wir alle riechen doch, daß es stinkt. Wie beim Fisch … vom Kopf her.«
»Vielleicht sehen wir es von einer anderen Perspektive«, versuchte Schütze seinen Sohn zu verteidigen. Sulzmann schüttelte den Kopf.
»Wir stehen richtig, Schwiegersohn. Wir stehen bei so etwas immer richtig …, denn wir müssen's ausfressen. Gute Nacht. Morgen sollen die jungen Leute zu mir zum Kaffee kommen.«
Drei Tage später, an einem Sonntag, stand Freiherr v. Perritz vor der Wohnungstür des Steueroberinspektors Schütze. Er trug seinen grünen Jagdanzug, einen weichen Filzhut, einen derben Knüppel, dicke Schuhe und ein vom Herbstwind gerötetes Gesicht. Heinrich Emanuel und Amelia waren nicht zu Hause, sie hatten den Frühgottesdienst besucht und wollten noch etwas an der Oder Spazierengehen.
Franz Schütze brauchte keine förmliche Vorstellung des Barons, er wußte sofort, wer der grüne Gast war. Er riß die Tür auf und trat aus dem Weg, wie er es immer machte, wenn sein Oberamtmann in die Kanzlei kam und die Akten kontrollierte.
»Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind, Herr Baron«, sagte Franz Schütze. »Die Kinder sind spazieren –«
Freiherr v. Perritz ging an Schütze vorbei, stellte seinen Knüppel in den Schirmständer an der Garderobe, hängte seinen Jägerhut an einen Haken und strich sich seinen langen, schwarzen Bart, den der Wind etwas zerzaust hatte. Durch den Flurspiegel sah er Franz
Weitere Kostenlose Bücher