Manöver im Herbst
über die beiden blutigen Striemen und ergriff ihre schlaff herunterhängende Hand.
»Komm«, sagte er. »Nimm mit, was du brauchst …«
Bollet warf die Axt fort. Mit den Händen in den Hosentaschen kam er heran.
»Heute nacht also, Oberleutnant. Ab 10 Uhr. Keine Patrouillen …«
»Ich werde die Straßen abriegeln!« schrie Schütze.
»Du mußt es wissen.« Bollet hob die Schultern, drängte Schütze von der Tür weg und ging ins Haus.
Heinrich Emanuel stieg wieder auf sein Pferd. »Jeanette!« rief er. »Ich reite zurück zur Kommandantur. Melde dich unten bei der Wache.«
Er hörte noch, wie Madame Sarah ihm etwas nachrief. Er ritt schnell aus dem Hof, zurück auf die Straße.
Eine Kompanie rückte ein. Sie kam von der Front und sollte in Soustelle vier Tage in Ruhe liegen. Schütze hatte für sie die Hallen der Töpferei ausräumen und mit Strohsäcken wohnlich machen lassen. Er begrüßte den Truppenoffizier, einen jungen Leutnant, der bereits das EK I auf der Brust trug, lud ihn zu einem Abendessen ein und ritt schnell weiter. »Ein ganz Forscher«, sagte der Leutnant zu seinem 1. Zugführer, einem Feldwebel. »Möchte wissen, warum der hier Ortskommandant spielt, anstatt vorne zu liegen.«
Gegen Mittag meldete sich Jeanette Bollet als neue Putzhilfe der Kommandantur. Oberleutnant Schütze ließ ihre genauen Personalien feststellen, meldete ihre Einstellung vorschriftsmäßig an die Armee, mit eingehender Begründung der Notwendigkeit, und wies ihr dann ihren zukünftigen Aufgabenbereich zu.
Als sie allein waren, küßten sie sich. Heiß, den Körper durchbebend, voller Begehren. Schütze kannte sich nicht wieder. Er knüpfte Jeanettes Bluse auf, er tat Dinge, die er nie für möglich gehalten hätte … Er schloß die Tür hinter sich ab und nahm Jeanette. Auf einem alten Sofa, aus dem bei jeder Bewegung eine Staubwolke über ihre zuckenden Körper quoll. Er war wie ein toller Hund, er löste sich in Geilheit auf. Er war nichts mehr als ungezügelte Potenz.
Nur einmal – als Jeanette ihr rechtes Bein über seine Hüfte legte – zuckte er einen Augenblick zusammen. In seiner Rocktasche knisterte es. Der ungeöffnete Brief Amelias. Da krallte er sich in Jeanettes Fleisch fest, als suche er Halt vor einem tiefen Sturz.
Es war ihm, als sei er ein neuer Mensch. Und diesen neuen Menschen nannte er Glück –
*
In Soustelle änderte sich nichts.
Die Trainkolonne wurde überfallen, und es war ein Unglück, daß die Patrouillen gerade in dieser Stunde jenseits der Überfallstelle waren. Oberleutnant Schütze meldete es pflichtschuldig der Armee, er stellte Suchtrupps zusammen, er kämmte die ganze Umgebung durch, er bildete ein ›Sonderkommando Franktireur‹ unter Leitung eines leicht verwundeten Leutnants, der in Soustelle auf seine Heilung wartete. Den Oberbefehl übernahm er selbst. Er tat alles, um die Armee von seiner Einsatzfreudigkeit zu überzeugen.
Nachts aber lag er in den Armen Jeanettes und wünschte sich, daß der Krieg zehn oder mehr Jahre dauern möge. Er lernte die Liebe von einer Seite kennen, die ihn von Nacht zu Nacht willenloser machte, die ihm Paradiese öffnete, die selbst in den Kasinogesprächen seiner jungen Kameraden nicht bekannt waren. Er schwamm in einem Meer von Wonne und seliger Erschöpfung, wenn der Morgen dämmerte und er den warmen Körper Jeanettes umschlang und endlich, endlich einschlief … für zwei, drei Stunden, bis der Dienst wieder begann.
Jeanette liebte ihn wirklich, das wußte er. Deutlich wurde es, als Bollet eines Abends wieder über seinen bevorzugten Eingang über der Balkontür ins Haus kam und ankündigte, daß übermorgen nacht zwei Munitionstransporte in die Luft gesprengt werden sollten. Da hatte Jeanette einen schweren, hölzernen Leuchter vom Tisch genommen und nach dem Kopf des Vaters geschleudert. Nur durch ein schnelles Bücken entging Bollet seinem Tod … Verwundert starrte er auf seine Tochter, wollte etwas sagen, wandte sich dann langsam ab und verließ wortlos das Haus.
Das Leben mit Jeanette war ein einziger Rausch für Heinrich Emanuel. Wenn er am Tage seinen Dienst versah, zitterte er innerlich schon der Nacht entgegen. Manchmal überkam es ihn wie ein Wahnsinnsanfall. Dann riß er Jeanette von ihrem Putzeimer weg, verriegelte die Tür und fiel über sie her. Sie wehrte sich nie. Sie liebte ihn mit der ganzen Naturhaftigkeit ihres Wesens. Sie waren wie Tiere, die der gegenseitige Geruch schon erregte. Sie waren nichts als
Weitere Kostenlose Bücher