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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Truppenführern.
    Oberleutnant Schütze kam ohne große Formalitäten sofort zur Division zurück. Sie lag an der Maas, in den Hängen der Côtes Lorraines. In Bereitschaft zum Eingreifen bei Verdun. In der Champagneschlacht war sie fast aufgerieben worden. Jetzt hatte man sie wieder aufgefüllt. Neues Blut, junge Rekruten, denen man herrliche Geschichten vom Heldentod erzählt hatte und die daran glaubten, bis sie dranglauben mußten.
    Schon auf der Fahrt zur Division hörte Oberleutnant Schütze Bezeichnungen, die einmal mystische Namen werden sollten: Höhe 304, Toter Mann, Fort Vaux, Fort Douaumont, die Todesschlucht …
    »Hier erleben wir reinstes Heldentum«, sagte ein junger Leutnant, der mit Schütze zur Division fuhr, begeistert.
    Er fiel am ersten Tag an der Höhe 304 und schrie, bis das Blut in seiner Kehle jeden Schrei erstickte: »Mutter! Mutter! Mutter –«
    *
    Im Mai 1917 gebar Amelia einen Jungen.
    Eine neue französische Offensive rollte wieder über die nur noch aus Granattrichtern bestehende Champagne. Sie sollte die Umklammerung Verduns lösen und die deutschen Truppen wegziehen.
    Es halfen deshalb auch alle Beziehungen des jetzt zum Urgroßvater beförderten Sulzmann nicht, Heinrich Emanuel einen Urlaub zu verschaffen. Er lag in vorderster Linie im Trichterfeld der Champagne.
    Genau betrachtet, lag er allerdings nicht ganz vorn, dort, wo die Artillerie trommelte, wo die Verteidiger und Angreifer von Loch zu Loch sprangen und sich mit einer Verbissenheit umbrachten, die einmalig in der Kriegsgeschichte war. Oberleutnant Schütze lag vielmehr in einem Unterstand zwölf Kilometer hinter der Hauptkampflinie vor einem zerschossenen Dorf, in dem man den Hauptverbandsplatz eingerichtet hatte. Er war eine Art Kampfleitstelle, ein Verbindungsoffizier zwischen der Front und dem immer nachrückenden Nachschub an jungen Menschen. Jeder Ersatz, der aus der Heimat oder aus den Ruheorten herangebracht wurde, ging durch seine Leitstelle. Er verteilte die zum Tode Ausersehenen. Er hatte alle Verlustmeldungen vor sich liegen, er wußte, wo Menschenmaterial gebraucht wurde, welche Kompagnie aufgerieben war, welcher Grabenabschnitt mit Toten angefüllt war und nach neuen Leibern rief.
    Er war die rechte Hand des Todes. Er gab die Jugend Deutschlands an die zerfetzenden Granaten weiter. Er war ein so wichtiger Mann, daß ein Urlaub gar nicht in Frage kam.
    Brieflich gratulierte er Amelia zu dem Stammhalter. »Ich bin stolz auf Dich«, schrieb er. »Daß es ein Junge ist, erfüllt mich besonders mit Begeisterung. Ich möchte, daß unser Junge die Namen Christian-Siegbert erhält; er ist in einem Jahr geboren, in dem Christentum und Sieg auf unseren Fahnen stehen. Er ist in eine große Zeit hineingeboren worden, in Deutschlands größten Krieg und baldigen größten Sieg. Noch dieses Jahr wird der Krieg zu Ende sein. Ich küsse Dich, mein Lieb, und bin so glücklich …«
    Wie es Oberleutnant Schütze schrieb, wurde es. Der Junge wurde Christian-Siegbert getauft. Taufpate waren ein Bruder Amelias und ein Vetter Amelias aus einer Wiener Linie, der als Oberstleutnant im Balkan lag und als Patengruß schrieb: »Möge der Junge nie einen Krieg erleben. Krieg ist ein Verbrechen.« Merkwürdige Worte für einen Offizier … aber wie gesagt, Eberhard v. Perritz war ein Außenseiter. Zudem ein Wiener. Man sah über diesen Passus der Gratulation hinweg.
    Heinrich Emanuel hatte Jeanette zwar nicht vergessen, aber die Hoffnung auf ein Wiedersehen aufgegeben. Vielleicht war sie längst tot, erschossen mit ihrem Vater, dem Franktireur. Nach seinem letzten Urlaub hatte Amelia dann nach einigen Wochen geschrieben: »Ich spüre etwas. Endlich, endlich. Wir werden ein Kind haben …« Das war etwas, was Heinrich Emanuel völlig aus dem Bann Jeannettes zog. Sein Ausflug in eine andere Welt der Liebe blieb Erinnerung.
    Nach der Geburt Christian-Siegberts hörten die Briefe plötzlich auf. Über der Champagne, über Verdun war der Himmel schwarz von detonierenden Granaten und aufspritzenden Erdfontänen, wurde die Erde rot von ausblutenden Leibern, erkannte der Mensch schaudernd, zu welchen Leistungen er fähig sein konnte, wenn er bis ins Mark hinein verzweifelt war.
    Die Postträger wurden zerfetzt und mit ihnen die Briefe. Die Verbindung zur Außenwelt waren nur noch Laufgräben … als sie zu Löchern zerstampft wurden, waren es nur noch gehetzte, springende, ausgepumpte Gestalten in runden Stahlhelmen und verkrusteten Uniformen,

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