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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war in einer sogenannten ›bürgerlichen Pause‹. Er war a.D., und das wollte er bleiben. Vorläufig. Er hatte nicht den ›blinden Ehrgeiz‹, wie er es nannte, sich als Freikorpssoldat erschießen zu lassen oder unsagbare Leiden auf sich zu nehmen, um das Unaufhaltbare doch noch aufhalten zu wollen. »Für uns arbeitet die Zeit«, sagte er einmal zu seinem Vater, der zum Steueramtmann vorgeschlagen worden war. »Wenn wir geschichtlich denken –«
    Und Heinrich Emanuel dachte geschichtlich und nahm im März 1920 eine Margarinevertretung an.
    In Köln. Unter Leitung des Obersten a.D.
    Schütze hatte sogar Glück. Er bekam eine ›Verteilungsstelle und Akquisiteurfiliale‹ in der Innenstadt. Die Gebiete um den Neumarkt, bis zum Ring einerseits und bis zum Altermarkt andererseits.
    Sogar eine Wohnung bekam er … sie wurde ihm nachgeworfen. Er mietete eine Dreizimmerwohnung auf dem Mauriziuswall, in einem alten, grauen Haus, dessen Treppenhaus nach kaltem Kohl und Schweißfüßen stank.
    »Aller Anfang ist mühsam«, sagte er zu Amelia, die unglücklich auf dem Bett saß, den sechs Monate alten, plärrenden Giselher-Wolfram in den Armen. Christian-Siegbert, drei Jahre alt, spielte mit dem Wasserablauf des Küchenspülbeckens. Er hatte entdeckt, daß es in der Leitung immer blubberte, wenn man Wasser abließ.
    »Du sollst sehen … nach einer kurzen Zeit der Einarbeitung geht es bergauf. Margarine – das sagte mir der Herr Oberst – ist das Volksnahrungsmittel Nr. 1. Vor allem unsere Margarine. Wir liegen im Kilo um 27 Pfennige niedriger als die Konkurrenz. Das macht etwas aus. Wenn wir rechnen, daß eine vierköpfige Familie in der Woche –«
    Amelia ließ ihn reden und rechnen. Sie packte die Koffer aus, sie legte Giselher-Wolfram schlafen, gab Christian-Siegbert einen Klaps, weil er einen Glühstrumpf der Gasbeleuchtung in der Hand zerdrückt hatte … dann standen sie am Fenster, sahen hinaus auf den Mauriziuswall und die Kinder, die in der Gosse spielten, sahen hinüber auf die dunklen Zinnen des Hahnentors und den Verkehr, der um den Rudolfsplatz brandete. Sie kamen sich ausgesetzt vor, verwaist ohne die Oder, ohne Gut Perritzau, ohne Kommerzienrat Sulzmann, ohne Mutter Schütze und ohne Vater Schütze, der jetzt Vorstand des Finanzamtes III war. Sie kamen sich elend vor. Ganz elend.
    Amelia tastete nach Heinrich Emanuels Hand und umklammerte sie, als versinke sie in einem Strudel. Er sah sie an, nickte stumm und legte den Arm um ihre Schultern.
    »Tapfer sein, Kleines«, sagte er mit belegter Stimme.
    »Ich bin so unglücklich«, sagte sie und weinte plötzlich.
    Er verstand sie. Auch ihn würgte es in der Kehle. Er war jetzt siebenundzwanzig Jahre alt und kam sich vor wie ein Greis.
    »Es ist nur der Anfang«, sagte er leise. »Und was ein Oberst im Generalstab kann, muß doch auch ein Hauptmann können, was, Amelia …?«
    Es war ein billiger Trost, ein typisches Heinrich-Emanuel-Wort. Und Amelia nickte gehorsam dazu und tat so, als sei es ein Trost.
    *
    Die Verteilung der Margarine ließ sich ganz gut an.
    Nach dem Abschluß des Friedensvertrages in Versailles und dessen bedingungsloser Annahme am 10. Januar 1920 wußte man, daß es den Deutschen auf Jahrzehnte hinaus mehr als dreckig gehen würde. Die Reparationen, die Deutschland zu zahlen hatte, nannten Zahlen, die astronomisch waren. Wie man den Vertrag erfüllen konnte, wußte noch niemand. Man wußte nur eins: Das deutsche Volk würde ein Volk der billigen Margarineesser werden.
    Trotzdem war es leichter, Margarine zu verteilen an bestellende Kunden, als neue Kunden zu werben. Denn nicht Heinrich Emanuel allein trabte durch die Straßen und suchte neue Esser seiner ›Morgenröte‹, wie die Marke poetisch hieß. Es gab viele Arbeitslose, die mit einem Köfferchen voller Probierpäckchen herumzogen und in herzhaften Worten die Güte ihrer Ware anpriesen.
    Hauptmann a.D. Schütze, in Taktik geschult, ging logisch und planvoll vor. Er ließ sich die Adressen aller in seinem Gebiet wohnenden ehemaligen Offiziere und Akademiker geben. Er suchte sich den gehobenen Mittelstand heraus. Bei diesem erschien er, nannte die ehemaligen Offiziere schlicht und brav ›Herr Kamerad‹, erzählte von seinem Kaisermanöver 1913 und – wo es angebracht war – von Soustelle und Jeanette Bollet und sammelte so in drei Monaten zweiundzwanzig neue Kunden für die ›Morgenröte‹.
    Als das Gebiet abgegrast war, verfiel er auf den Gedanken, das Proletariat zu

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