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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aufgabe, die er erhalten hatte, war mehr verwaltungsmäßiger Natur. Er sollte koordinieren. Er sollte Verbindungen zu Freikorps pflegen, zu Soldatenverbänden. Er sollte die Tradition vertreten. Er sollte in den Schulen Vorträge halten, vor allem vor Abiturientenklassen und jungen Studenten.
    »Die Themen bekommen Sie ausgearbeitet … Sie haben nur vorzutragen«, sagte ihm ein Oberst im Generalstab. Dann lachte er und reichte Schütze die Hand. »Was wir alles machen in der Reichswehr, was? Sogar uniformierte Rezitatoren …«
    Das war das, was des neuen Hauptmann Schützes Höhenflug bremste. Mißmutig kam er in Detmold an, ließ sich zur Kaserne fahren und hielt vor dem Kasernentor einen Unteroffizier an, der grüßend an ihm vorbeischritt.
    »Sie da!« rief Heinrich Emanuel. »Kommen Sie mal her! Als Unteroffizier müßten Sie wissen, in wieviel Abstand man zu grüßen hat! Es war ein Schritt zu spät …«
    Der Unteroffizier starrte den fremden Hauptmann an. Dann wurde er rot im Gesicht, machte kehrt, rannte zehn Schritte zurück, wendete und marschierte noch einmal auf Schütze zu. Genau, wie es sein sollte, fünf Schritte vor der Begegnung, zuckte seine Hand hoch. Heinrich Emanuel nickte zufrieden.
    »Gut so«, sagte er jovial. »Merken Sie sich eins, Unteroffizier: Manneszucht ist die Urzelle des Erfolges …«
    Der Vorfall sprach sich bei der 14. Kompanie herum, noch bevor sich Schütze bei Hauptmann v. Poltach vorstellte.
    Er hatte sich gut eingeführt. Jeder wußte nun, was man von ihm zu erwarten hatte. Man war gespannt auf ihn.

8
    Sein erstes Auftreten im Offizierskasino fiel mit einem Gedenktag zusammen: Am 9. November 1923 gedachte man der vor fünf Jahren erfolgten Abdankung Kaiser Wilhelms II. Nicht nur die Offiziere der Reichswehr waren im Kasino … von den Soldatenverbänden, von monarchistischen Gruppen, sogar von ehemaligen Offizieren, die jetzt in sozialistischen Parteien lebten, waren Abordnungen gekommen.
    Unter der Fahne des alten Infantrieregimentes Graf Bülow von Dennewitz (6. Westfälisches) Nr. 55, dessen Tradition die 14. Kompanie übernommen hatte, stand an einem Rednerpult, mit der neuen Reichskriegsflagge überzogen, Heinrich Emanuel Schütze und hielt die Festrede.
    »Kameraden!« rief er mit glänzenden Augen. »Blicken wir nicht mehr in die Vergangenheit … sie war groß, und sie ist tot, gemeuchelt von jenen Elementen, die heute die Kriegsschuld Deutschlands anerkennen und 135 Milliarden bezahlen wollen … Blicken wir auch nicht in die Jetztzeit … sie ist mit ihrer Inflation, der Ruhrbesetzung, dem Ruhrkampf, den Streiks, eine offene Wunde am Körper unserer Nation! Nein – sehen wir in die Zukunft! Sehen wir, was wir erwarten dürfen: ein neues Deutschland, dem wir das neue Gesicht geben werden. Wir, die alten Frontsoldaten, die Kameraden von Verdun. Die Namenlosen des großen Krieges, die man verraten hat. Noch sind wir nur 10.000 gläubige Männer in grauer Uniform, aber hinter uns steht bereits wieder das Herz der deutschen Jugend. Wollen wir diese Herzen festhalten, wollen wir sie erobern, wollen wir unsere ganze Kraft –«
    Heinrich Emanuel sprach über eine Stunde. Er verbreitete Begeisterung um sich, er ließ sich wegtragen von seinen Gedanken und fand Worte, die Tränen der Ergriffenheit in die Augenwinkel trieben und die Tränensäcke der alten Offiziere aufquellen ließen.
    Dann stand man stramm, sang das Deutschlandlied, senkte die Fahnen. Es war feierlich, wirklich.
    Am Abend allerdings wurde diese Stimmung jäh unterbrochen. Die Reichswehr wurde in Alarmstufe I versetzt. Auf dem Kasinoklavier spielte ein junger Leutnant gerade den Trauermarsch aus der ›Götterdämmerung‹ von Wagner. Der Kommandeur lauschte versonnen, Heinrich Emanuel sah vor seinem geistigen Auge den blanken Schild, auf den die Mannen Günthers den erschlagenen Siegfried hinwegtrugen … ein Symbol des hinterrücks erdolchten Deutschlands. In diesem Augenblick erschien ein Kurier, beugte sich von hinten an das Ohr des Kommandeurs und flüsterte etwas. Der Oberstleutnant zuckte zusammen, sprang auf und winkte dem jungen Leutnant am Klavier zu. Jäh unterbrach er das Spiel … der letzte Mollakkord klang klagend im stillen Raum nach.
    »Meine Herren!« sagte der Kommandeur mit belegter Stimme. »Soeben bekomme ich die Meldung, daß in München am heutigen 9. November ein Putsch, eine Revolution versucht worden ist. Die kleine Nationalsozialistische Partei unter Führung Adolf Hitlers hat

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