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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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… aber beantworte mir eine Frage, Heinrich: Warum ist denn Deutschland so zerstört worden? Wer hat denn den Niedergang verschuldet? Der Bäcker an der Ecke? Er mußte die Uniform anziehen und kämpfen, weil es befohlen wurde. Der Milchmann, der Bauer draußen, der Schneider, der Schreiner, der Postbeamte, der Grünwarenhändler, der Förster, die Stadtschreiber, alle, alle haben eine Uniform getragen, lagen vier Jahre in Schützengräben, wurden verwundet, verloren Brüder oder Vettern … Warum? Weil sie mußten. Weil es ihnen befohlen wurde. Sie kämpften, sie mußten kämpfen, ob sie wollten oder nicht. Ihre Offiziere befahlen: Sprung auf, marsch-marsch … und sie sprangen auf, sie schossen, sie bluteten, sie starben. Freiwillig? Frag sie alle, ob sie den Krieg gewollt haben. Irgendeiner stand da und befahl … und wie die Kuhherde, die dem Brummen des Leitstieres nachrennt, gingen sie in den Tod.«
    Schütze fühlte sich persönlich angesprochen. Er zupfte nervös an seinem Waffenrock und nestelte an dem EK I herum.
    »Auch ich hatte meine Befehle …«
    »Natürlich. Alle, alle hatten ihre Befehle. Je höher man kommt, immer wieder Befehle. Schließlich bleibt nur ein Mann übrig, der, der ganz oben ist, dem keiner mehr befiehlt. Das war damals der Kaiser.« Amelia sah ihren Mann mit großen, fragenden und Antwort heischenden Augen an. »Wie ist es möglich, daß ein Volk von fünfzig Millionen losrennt in den Tod, nur weil ein Mann befiehlt?«
    »Der Kaiser hat keine Schuld –«
    »Wer dann? Denn alle anderen unter ihm sagen, wenn man sie fragt: Ich hatte einen Befehl. Irgendwo ist doch hier ein Wahnsinn mit Methode im ganzen Militärgeschäft.«
    Hauptmann Schütze verzichtete darauf, Amelia einen Vortrag über die Notwendigkeiten kriegerischer Lösungen zu halten. Er winkte ab, so wie man eine lästig um die Nase brummende Fliege abwehrt, und setzte sich in einen neuen Ohrensessel.
    »Du solltest dich mehr mit der Gegenwart beschäftigen«, sagte er milde. »Wir haben die Inflation überwunden. Unsere Außenpolitik ist durch Stresemann geachtet. Unser Präsident Ebert ist ein rechtschaffener Mann …«
    »… und euer Chef der Heeresleitung Seeckt betreibt unter den Augen des Reichswehrministers Geßler seit fünf Jahren eine heimliche Aufrüstung …«
    »Du siehst Gespenster. Im übrigen: Woher weißt du das?«
    »Man hört so allerlei …«
    »Von Kommunisten. Von Pazifisten.«
    »Die den Frieden lieben, sind nicht die schlechtesten Menschen …«
    »Man sollte verzweifeln.« Schütze knöpfte den Kragen seiner Uniform auf. »Wenn ich sehe, daß meine Kinder mit diesen Schwarz' und Nüsslings spielen …«
    »Ist es schlimm, wenn die Kinder menschlicher denken als ihre Väter?«
    »Es ist würdelos.« Dann schwieg er. Er sah, daß er wieder zu weit gegangen war. Amelia versteinerte. Mit ihr war kein politisches Gespräch zu führen. Sie schlug völlig aus der Art der v. Perritz'. Er knöpfte seinen Kragen wieder zu, nahm seinen Mantel, setzte die Mütze auf und ging hinüber ins Offizierskasino.
    Auf seine Anregung hin hatte man einen großen Sandkasten gebaut. Er stand in einem Nebenzimmer, wo man früher Billard spielte. Seit drei Wochen gab Hauptmann Schütze dem Unteroffizierskorps und den jungen Leutnants taktischen Unterricht.
    Nur ungern dachte Schütze an die Sandkästen, die er ab 1913 überall, wo er war, gebaut hatte. In diesen Kästen hatte er theoretisch den Krieg gewonnen … Daß die Oberste Heeresleitung anders marschieren ließ, als er es überblicken konnte, war ihm oft unverständlich gewesen. Manchmal hatte er verzweifelt vor seinen Truppenverschiebungen gehockt und sich gewünscht, Hindenburg oder Ludendorff zu sein. Vielleicht wäre dann alles anders geworden, dachte er im stillen und erschauderte fast vor diesem Gedanken.
    Jetzt war das etwas anderes. Man hatte aus Fehlern gelernt. Und wenn die Reichswehr auch nur Panzerwagen aus Pappe und Holz hatte, wenn sie auf Pappkameraden schoß und mit dicken Holzröhren die schwere Artillerie vortäuschte – im Hintergrund stand die große Hoffnung, daß einmal das alles, was heute Attrappe war, wirklich dastand. Dann würden Offiziere und Mannschaften vor keinen Fremdkörpern mehr stehen, sondern wissen, wie jeder Handgriff gemacht wurde.
    Im Kasino saß der Kommandeur und trank eine Flasche Mosel. Er lud Schütze zu einem Glase ein.
    »Haben Sie gehört«, sagte der Oberstleutnant. »Der Hitler hat ein Buch geschrieben. ›Mein

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