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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Angriffstaktik bald den Kaiser besiegt … 1930 säuberte er die Reichswehr von zersetzenden Elementen, und in beiden Fällen erkannte man den guten Willen an, aber fand ihn völlig fehl am Platze.
    »Was hat man mit mir vor?«, fragte er heiser.
    Der Oberst lächelte jovial. »Wie das klingt, lieber Schütze. Als ob Sie die Wahl hätten zwischen Erhängen und Enthaupten. Sie fallen eine Treppe hinauf … nicht hinunter. Sie sollen ab sofort die Divisionskleiderkammer übernehmen …«
    »Die … Kleiderkammer …?« Schütze wischte sich über die Augen. Die Haare seines Schnurrbartes kitzelten über die Handfläche. Erst die Kommunisten … jetzt die Nazis. Zwei Feinde habe ich jetzt auf der Welt, gegen die ich unerbittlich sein werde. Und die Dummheit der Menschen … aber sie ist nicht zu bekämpfen. »Die Kleiderkammer«, wiederholte er. »Das nennen Sie eine Beförderung …? Ja, eine Beförderung in die Stille. Dort in der Kleiderkammer kann ich verfaulen und keiner merkt es.«
    »Jeder würde Sie um diesen Posten beneiden.« Der Oberst erhob sich abrupt und streckte Schütze die Hand hin. »Sie scheinen sich ihre Ziele zu hoch gesteckt zu haben, Herr Hauptmann«, sagte er dienstlich knapp. »Leben Sie wohl! Ich wünsche Ihnen auf Ihrem weiteren Weg alles Gute.«
    Dann stand Heinrich Emanuel auf dem Flur der Kriegsschule. Die Fähnriche, die an ihm vorbeigingen und ihn grüßten, wußten noch nichts. Aber dennoch meinte Schütze in ihren Augen das Glimmen der Schadenfreude zu sehen. Da stürzte er den Flur entlang, aus dem Haus hinaus und ließ sich nach Hause fahren.
    Amelia war nicht da. Sie war mit den Kindern ausgegangen. Nicht allein … zwei Soldaten begleiteten sie. Wie Gefangene. Eine Stunde Luftschöpfen im Grunewald … wie ein Rundgang im Hof des Zuchthauses.
    Heinrich Emanuel schloß sich in seinem Arbeitszimmer ein. Er legte seine Orden vor sich hin, die Bilder, die ihm geblieben waren: Als Fähnrich, als junger Leutnant, das Hochzeitsbild, die ersten Bilder seiner Kinder, beim Unterricht am Sandkasten, beim Ausrücken zu einer Geländeübung …
    Langsam legte er seine Pistole daneben. Dann zog er die Uniform aus, hängte sie säuberlich über einen Bügel, holte seinen Zivilanzug aus dem Schrank und zog ihn an.
    Von der Generalstabssehnsucht bis zur Divisionskleiderkammer … der Fall war zu tief. Die Seele war zerschmettert worden. Schütze war bereit, den Körper folgen zu lassen.
    Er schrieb ein paar Zeilen … dann zerriß er sie wieder. Abschiedsbriefe sind Selbstanklagen, dachte er. Man wird wissen, warum der Hauptmann Schütze sich eine Kugel in die Schläfe jagte. Damals, 1913, hatte ein Hauptmann Stroy zu ihm gesagt: »Wenn ich Sie wäre, würde ich mir –«, und er hatte geantwortet: »Zu Befehl. Aber ich habe im Manöver nur Platzpatronen bei mir.« Heute hatte er scharfe Munition im Lauf seiner Pistole. Es war kein Manöver mehr.
    Sich zu erschießen, braucht man nicht zu üben. Man braucht nur die richtige Stelle zu wissen. Und Schütze wußte sie.
    Er nahm die Pistole, lud sie durch und setzte sie unterhalb des Haaransatzes an die Schläfe. Mit dem kalten Lauf suchte er die kleine Vertiefung zwischen Jochbein und Ohr. Schräg nach oben mußte man den Lauf halten, dann traf man das Gehirn. Wer geradeaus schießt, wird blind und überlebt.
    Hauptmann Schütze schloß die Augen. Er dachte noch einmal an Amelia und an die Kinder. Er sah Christian-Siegbert mit seinen blutigen Beulen, die man ihm des Vaters wegen schlug. Er sah die aufgerissene Backe Giselher-Wolframs, die abgeschnittenen Zöpfe Uta-Sieglindes und er hörte wieder die harte dröhnende Stimme des Oberstudiendirektors: Nehmen Sie Ihre Jungen von der Schule …
    Der Finger am Abzug der Pistole krümmte sich. Für euch alle tue ich es, dachte Schütze. Damit ihr ruhig leben könnt. Damit euch keiner mehr schlägt, keiner mehr wegjagt, keiner mehr anspuckt, keiner euch bei einem Spaziergang begleiten und beschützen muß.
    Die Verzweiflung übermannte ihn. Tränen rannen aus seinen Augen. Die letzten Sekunden … im Pulverdampf würden die Tränen trocknen.
    In diesem Augenblick klirrte es im Zimmer. Schütze sprang auf. Ein dicker Stein war durch das Fenster geflogen, hatte die Scheibe zersplittert. Durch das gezackte Loch, durch die flatternde Gardine hörte er von der Straße johlenden Gesang aus Männerkehlen.
    »Hängt ihn auf! Hängt ihn auf!« schrien sie. Und dann in schauerlichem Chore: »Deutschland erwache!

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