Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Sohn, Lucien, kommandierte mich herum. Er war bei meiner Ankunft elf Jahre alt und schon genauso eh r geizig wie sein Vater. Oft geschieht es, dass ein Kind, das von einem Elternteil zu sehr unter Druck gesetzt wird, mit seiner ganzen Kraft dagegen zu rebellieren b e ginnt. Dasselbe habe ich auch hier in Ihrem Land be o bachtet. Aber Marcus Kalitz hätte sich keinen besseren Erstgeborenen wünschen können als Lucien. Er war s o gar noch fanatischer gegen das Königshaus eingestellt als sein Vater.«
»Was war mit dem kleinen Mädchen?«, fragte Ra y mond.
»Anneline«, sagte der Butler. »Ich kann bis heute ke i nen einzigen Fehler an ihr entdecken. Als ich dorthin kam, war sie neun Jahre alt und sehr schüchtern, aber das änderte sich. Das ist möglicherweise das einzig Gute, das bei dieser Mission herauskam – ich konnte sie unterric h ten.«
Die Augen noch immer auf den Butler gerichtet, rutschte Raymond auf seinem Stuhl herum.
»Es ist wichtig, dass ich Ihnen das alles erzähle, Sir«, sagte Field plötzlich. »Selbst jetzt versuche ich noch h e rauszufinden, was schiefgegangen ist. Sie denken doch nicht, dass ich Ihre Zeit verschwende, indem ich Ihnen das alles erkläre, oder?«
»Natürlich nicht. Erzählen Sie weiter. Ich möchte es hören.«
Der Butler nickte. »Nun, ich gab mir große Mühe, i h nen ein guter Lehrer zu sein. Ich hielt es nicht für fair, wenn ihre Ausbildung darunter gelitten hätte, dass ich ein Hochstapler war. Anneline war eine aufmerksame Sch ü lerin, die selbst dann leicht zu unterrichten war, wenn ich gerade mal wieder mit einem Thema kämpfte, das ich selbst mir erst am Vortag aus einem Buch angelesen ha t te. Aber Lucien konzentrierte sich nicht. Er war klug, aber er wollte einfach nicht arbe i ten. Und seine Eltern unterstützten das. Sie hielten ihn für ein geborenes Genie, aus dem einmal ein großer Mann werden würde.«
Es war nun fast vollständig dunkel im Zimmer. Der Feuerschein spiegelte sich auf Raymonds Brille wider, während er bewegungslos dasaß und zuhörte.
»Schon bald begannen die Dinge, aus dem Ruder zu laufen. Ich hätte den Rückzug antreten sollen, aber stat t dessen ließ ich mich immer tiefer hineinziehen. Ich fing an, mich wirklich für einen Lehrer zu halten. Zunächst einmal brachte ich Anneline bei, die Nationalhymne zu singen. Das war mein erster Fehler. Ich dachte nicht nach. Ich war einfach nur erstaunt, dass sie sie nicht kannte, und hielt es nicht für vermessen, sie in meiner Funktion als Lehrer mit ihr einzustudieren. Sie hatte eine sehr schöne Singstimme. Außerdem spielte sie ausg e zeichnet Klavier. Sie spielte häufig für die Gäste ihrer Eltern, wenn diese ein Fest ausrichteten.
Jedenfalls hörte ich bei einer dieser Feiern, wie sie ein paar der Melodien, die ich ihr beigebracht hatte, spielte, wobei sie die Akkorde selbst hinzufügte. Mit neun Jahren konnte sie schon auf diese Weise improvisieren. Und dann begann sie mit der Nationalhymne, und alles ve r stummte schlagartig. Einen Moment später fing Celine an, das Mädchen anzuschreien. Ich hörte Anneline etwas murmeln, wusste jedoch, dass es die Situation nur ve r schlimmern würde, wenn ich mich einmischte, deshalb zog ich mich nach oben zurück. «
»Nicht lange danach hörte ich Marcus Kalitz, noch immer mit seinem Drink in der Hand, die Treppe hinauf stürmen. Er brüllte wie ein Wahnsinniger. › Sie haben meine Kinder beeinflusst . Sie haben sie mit Ihren royali s tischen Werten korrumpiert! Sie wissen, was ich von der Monarchie halte! ‹ Und s o w eiter und so weiter. Er packte mich an meinem Hemd und schmetterte mich g e gen die Tür.«
»Was taten Sie?«, fragte Raymond.
»Nun, ich hätte rein gar nichts tun können«, erwiderte Aldebaran bedächtig. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich war dort ein Diener, kein Erleuchteter. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, indem ich immer wieder sagte: › Ja, Sir, es tut mir leid, Sir. ‹ Er schmetterte sein Glas an die Wand und brüllte weiter auf mich ein. Erst, als ein paar der G ä ste kamen, um nachzusehen, was der Grund für den Au f ruhr war, musste er leiser werden. › So etwas wird nie wieder geschehen ‹ , sagte er zu mir. › Sie lehren sie die wahre Geschichte Malonias, die wahre Geografie, die wahre Literatur. Ist das klar? ‹
Ich sagte noch ein letztes Mal › Ja, Sir ‹ , und er ließ von mir ab. › Field, Sie sind eine größere Enttäuschung, als ich zu sagen vermag. ‹ Dann drehte er sich um und ging
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