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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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der Himmel düster und grau war.
    »Ich glaube, dass jetzt alles einen Sinn ergibt«, sagte ich plötzlich.
    Sie lachte. »Was meinst du?«
    Ich breitete die Arme aus, hob mein Gesicht zur Sonne hinauf und schrie: »Alles!«
    »Hör auf damit, Leo. Du machst mir Angst.«
    »Entschuldige. Ich meine, ich glaube an Gott und all das.«
    »Oh … gut … Aber warum sagst du mir das? Du bist dein ganzes Leben zur Kirche gegangen.«
    »Aber jetzt glaube ich an Gott. Das tue ich wirklich. Das war früher nicht so, aber ich habe mich geirrt. Es gibt einen Gott.«
    »Daran habe ich schon immer geglaubt«, erwiderte sie sanft.
    »Alles ergibt nun einen Sinn.«
    »Nein, das tut es nicht.«
    »Nein?« Jetzt war ich verwirrt.
    »Nein. Nichts ergibt auch nur den geringsten Sinn, Leo. Aber das muss dich nicht daran hindern, an Gott zu glauben.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nicht alles ergibt einen Sinn. Wenn du glaubst, dass alles einen Sinn ergibt, wirst du am Ende nur enttäuscht sein, wenn es das nicht tut.«
    »Woher weißt du, dass nicht alles einen Sinn ergibt?«
    »Sieh dich doch mal um.«
    Ich gehorchte und spähte die Straße entlang.
    »Ich meinte im übertragenen Sinn.«
    »Alles ergibt einen Sinn«, beharrte ich. »Und ich fa n ge an, ihn zu erkennen.«
    »Eines Tages wirst du erkennen, dass das falsch ist, Leo. Es ergibt jetzt keinen Sinn. Das wird es, wenn wir eine andere Dimension erreichen, aber im Moment tut es das nicht. Du wirst es eines Tages einsehen. Warte nur ab.« Sie lachte wieder.
    »Das glaube ich nicht. Alles gehorcht einer gewissen Ordnung, nur können wir sie nicht sehen.«
    »Na schön, Pater. Willst du nun Priester werden?«
    »Jetzt mach mal halblang! Du verlangst zu viel für e i nen einzigen Tag. Ich bin heute bereits zur Kirche gega n gen.«
    Wir bogen in die Gasse ab, die zur Seitentür führte und holten beide unsere Schlüssel heraus.
    »Allerdings würde es mich davor bewahren, in die Armee eintreten zu müssen«, sagte ich, während ich die Tür aufsperrte.
    »Leo!«
    »Keine Sorge. Das war nur ein Witz …«
    Ein schwaches Weinen geisterte durch das Treppe n haus – es war ein so jämmerlicher Ton, dass unser L a chen sofort verstummte. Das Lächeln glitt von meinem Gesicht, bevor ich es aufhalten konnte. »Anselm weint«, sagte ich zu Maria.
    »Das ist nicht Anselm.«
    »Was? Das ist merkwürdig.« Wir gingen die Treppe hinauf. »Es muss eins der Kinder aus dem ersten Stock sein. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes.«
    Als ich die Tür zu unserer Wohnung öffnete, brach das Weinen wie eine Welle in den Flur. Mein Magen kramp f te sich zusammen, als ich begriff, dass es Stirling war. Wieso hatte ich das nicht gleich erkannt? Aber es klang überhaupt nicht nach ihm. »Was ist passiert?«, rief ich panisch, als ich zur Schlafzimmer tür rannte.
    Da war Stirling, der weinend seinen Kopf umkla m merte. Daneben saß Großmutter, die versuchte, ihn zu trösten. Trotz seines stoppeligen Haars konnte ich sehen, dass sein ganzer Kopf rot und fleckig war. Er weinte so heftig, dass ihm der Speichel aus dem Mund lief und das Laken durchnässte.
    Ich hastete zu ihm. »Was ist passiert?«, fragte ich e r neut.
    »Es ging ihm plötzlich wieder viel schlechter. Er re a giert auf nichts von dem, was ich sage. Geh und hol Pater Dunstan, Leo! Lauf!«
    Ich versuchte, Stirlings Blick aufzufangen, aber das Einzige, was sich in seinen Augen widerspiegelte, waren Schmerz und Angst. Er schien mich nicht zu erkennen. Er stieß weiterhin dieses seltsame Wimmern aus – er ha t te keine Kontrolle darüber, sondern konnte nichts weiter tun, als es einfach aus seinem Mund strömen zu lassen.
    »Was fehlt ihm?«, fragte ich Großmutter. »Hat er Kopfschmerzen?«
    »Lauf! Beeil dich!« Ich hetzte zur Tür hinaus. »Lauf!«, rief sie mir noch einmal nach.
    Wir hatten das alles bereits durchgemacht. Wir kon n ten nicht an diesen Punkt zurückkehren. Ich hatte nicht die Kraft dafür. Aber ich rannte trotzdem, denn ich hatte keine Wahl.
     
    »Stirling!«, versuchte Pater Dunstan mit scharfer Sti m me, das Wimmern zu durchdringen. »Stirling, kannst du mich hören?« Er legte die Hand an Stirlings Schläfe.
    Mein Bruder sah ihn einen Moment lang an. Dann krabbelte er rücklings in die Kissen zurück und schlug sich den Kopf am Bettgestell an. Er schien es nicht wah r zunehmen. »Nein! Tu mir nicht weh! Hilfe! Helft mir doch!« Es klang überhaupt nicht nach seiner eigenen Stimme. Aus seiner Kehle drang wildes Gekreische, und

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