Mansfield Park
ihr das entsetzliche Unheil klarer. Sie konnte nicht mehr zweifeln. Daß der Zeitungsbericht eine Falschmeldung sei, wagte sie nicht zu hoffen; er stimmte aufs erschreckendste mit Miss Crawfords Brief überein, den sie so oft gelesen, daß sie ihn Wort für Wort auswendig wußte. Die eifrige Verteidigung ihres Bruders, die Hoffnung, es könne vertuscht werden, ihre offenkundige Aufregung, all das deutete auf etwas sehr Schlimmes hin; und wenn es überhaupt eine Frau ihres Standes gab, die auch nur versuchen konnte, eine Sünde dieser Größenordnung zu bagatellisieren und zu beschönigen oder zu wünschen, daß sie ungestraft bliebe, dann konnte Fanny Miss Crawford für diese Frau halten! Nun erkannte Fanny auch ihren eigenen Irrtum. Verschwunden – oder angeblich verschwunden – waren nicht Mr. und Mrs. Rushworth, sondern Mrs. Rushworth und Mr. Crawford!
Es schien Fanny, als hätte sie niemals vorher einen wirklichen Schock erlitten. An Ruhe war nicht zu denken. Der Abend verging, ohne daß ihre Qual einen Augenblick nachließ, die Nacht war vollkommen schlaflos. Sie litt abwechselnd an Übelkeit und Angstschauern, an Anfällen von Fieberhitze und Schüttelfrost. Das Geschehene war so haarsträubend, daß ihre Seele sich in manchen Momenten dagegen als eine Unmöglichkeit empörte und sie einfach meinte, es könne nicht sein. Eine Frau, die erst sechs Monate verheiratet war, ein Mann, der behauptete, einer anderen ergeben, ja anverlobt zu sein – und diese andere eine nahe Verwandte – die ganze Familie, beide Familien, durch vielfache Bande verknüpft, alle so eng miteinander befreundet! Es war eine so gräßliche Verwirrung von Schuld, eine so krasse Häufung von Untaten, daß die menschliche Natur, sofern sie nicht im Zustand tiefster Barbarei befangen war, ihrer unfähig schien! Und doch bestätigte ihre eigene Vernunft, daß es so war. Crawfords unbeständiges Gemüt, das von seiner Eitelkeit leicht ins Schwanken gebracht wurde, Marias blinde Verliebtheit, das Fehlen sittlicher Grundsätze auf beiden Seiten – das alles ließ das Geschehene als möglich erscheinen, und Miss Crawfords Brief stempelte es zur Tatsache.
Was würden die Folgen sein? Ach, wen würden sie nicht treffen? Sie mußten die Hoffnungen, den Frieden jedes einzelnen auf immer zerstören. Miss Crawford selbst – Edmund … Doch sich auf dieses Gebiet begeben, war vielleicht gefährlich. Fanny beschränkte sich (oder versuchte es wenigstens) auf das einfache, unbezweifelbare Unglück, das die ganze Familie in Mitleidenschaft ziehen mußte, falls die Schuld wirklich erwiesen war und es zu einer öffentlichen Bloßstellung kam. Wie würden sie alle leiden, die Mutter, der Vater – hier stockte sie. Julia, Tom, Edmund – hier hielt sie noch länger inne. Zwei Menschen würde es am schwersten treffen: Sir Thomas in seiner väterlichen Sorge und seinen hohen Begriffen von Ehre und Anstand, Edmund in seinen aufrechten Grundsätzen, seinem arglosen Gemüt und der Aufrichtigkeit seines starken Gefühls. Sie meinte, daß sie kaum fähig sein würden, angesichts einer solchen Schande Leben und Verstand zu bewahren – und es schien ihr, wenn es nur um die irdische Welt ginge, könnte es für jeden, der mit Maria Rushworth verwandt war, kein größeres Glück geben als augenblickliche Vernichtung.
Nichts geschah am nächsten wie am übernächsten Tag, was ihr Entsetzen gelindert hätte. Die Post kam zweimal, ohne einen öffentlichen oder privaten Widerruf zu bringen. Von Miss Crawford langte kein zweiter Brief ein, der den ersten befriedigend erklärt hätte, und es kam keine Nachricht aus Mansfield, obwohl ein Brief ihrer Tante überfällig war. Das war ein schlimmes Zeichen. Sie vermochte ihr Gemüt mit keiner Spur von Hoffnung zu beschwichtigen und ging so elend, bleich und zitternd umher, daß keine nicht ganz entmenschte Mutter
– außer eben Mrs. Price – ihren Zustand hätte übersehen können. Am dritten Tag ertönte schließlich doch das fieberhaft erwartete Klopfen des Postboten, und ein Brief wurde ihr übergeben. Er trug den Londoner Poststempel und kam von Edmund.
«Liebe Fanny, Du kennst unsere gegenwärtige Verzweiflung. Möge Gott Dir Deinen Anteil daran tragen helfen. Wir sind seit zwei Tagen hier, doch es ist nichts zu machen. Ihre Spur ist nicht aufzufinden. Von dem letzten Vorfall hast Du vielleicht noch nichts gehört – Julia ist durchgegangen. Sie ist mit Yates nach Schottland geflohen. Ein paar Stunden bevor wir nach
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