Mansfield Park
Kapitel
Fanny bezweifelte nicht, daß ihre Antwort aufrichtige Enttäuschung bereiten würde, und wie sie Miss Crawford kannte, machte sie sich auf weiteres heftiges Drängen gefaßt. Obzwar eine ganze Woche lang kein weiterer Brief kam, war sie noch in diesem Gefühl befangen, als schließlich doch einer eintraf.
Sie merkte sofort, daß er nur wenige Zeilen enthielt und einer hastig hingeworfenen geschäftlichen Mitteilung glich. Sein Inhalt konnte nicht fraglich sein. Zwei Augenblicke genügten, um sie erstens von der Wahrscheinlichkeit zu überzeugen, daß das Blatt nichts anderes bezwecke, als sie vom Eintreffen der Crawfords an diesem selben Tag zu verständigen und sie zweitens in die aufgeregtesten Zweifel zu stürzen, wie sie sich in diesem Fall verhalten sollte. Wenn aber zwei Augenblicke so viele Schwierigkeiten zusammenballen können, genügt oft ein dritter, um sie zu zerstreuen; und bevor sie noch den Brief geöffnet hatte, brachte ihr eine neue Vermutung, nämlich daß Mr. und Miss Crawford die Zustimmung ihres Onkels erbeten und erlangt hätten, wieder Erleichterung. Der Brief lautete aber folgendermaßen: «Ein höchst skandalöses, böswilliges Gerücht hat mich gerade erreicht, und ich schreibe Ihnen, liebste Fanny, um Sie davor zu warnen, falls es bis zu Ihnen dringen sollte. Glauben Sie kein Wort davon. Seien Sie überzeugt, daß es ein Irrtum ist, der sich in ein oder zwei Tagen aufklären wird – jedenfalls ist Henry unschuldig und denkt an niemanden als an Sie, ungeachtet der étourderie eines flüchtigen Augenblicks. Sprechen Sie keine Silbe darüber – hören Sie nichts, vermuten Sie nichts, flüstern Sie nichts, bis ich Ihnen wieder schreibe. Ich bin sicher, alles wird vertuscht werden, und es wird sich nichts anderes erweisen als Rushworths Narrheit. Sollten sie wirklich fort sein, dann lege ich meine Hand dafür ins Feuer, daß sie nur nach Mansfield Park gefahren sind und daß Julia mit ihnen ist. Aber warum wollten Sie nicht, daß wir Sie abholen kommen? Ich wünsche, Sie mögen es nicht bereuen. Ihre etc.»
Fanny stand entgeistert da. Da kein skandalöses, böswilliges Gerücht ihr zu Ohren gekommen, war es ihr unmöglich, diesen sonderbaren Brief einigermaßen zu verstehen. Sie konnte ihm nur entnehmen, daß er sich auf Wimpole Street und Mr. Crawford bezog, und nur vermuten, daß es sich um irgendeine große Unbesonnenheit in diesem Kreis handelte, die geeignet war, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu lenken und, nach Miss Crawfords Meinung, ihre, Fannys, Eifersucht zu erregen, falls sie davon hörte. Ihretwegen brauchte Miss Crawford sich nicht zu beunruhigen. Es tat ihr nur leid um die Beteiligten und um Mansfield, falls das Gerücht so weit dringen sollte – was sie aber kaum glaubte. Wenn die Rushworths nach Mansfield gefahren waren, wie aus Miss Crawfords Zeilen hervorzugehen schien, war es unwahrscheinlich, daß irgendeine peinliche Nachricht ihnen vorausgeeilt wäre oder zumindest, daß sie dort irgendwelchen Eindruck machte.
Was Mr. Crawford betraf, hoffte sie nur, diese Geschichte könne ihn Selbsterkenntnis lehren und ihn überzeugen, daß er seiner Natur nach nicht fähig sei, irgendeiner Frau auf Erden treu zu bleiben, so daß er sich schämen würde, auf seiner Werbung zu beharren.
Es war sehr sonderbar! Sie hatte zu glauben begonnen, daß er sie wirklich liebte und daß seine Zuneigung etwas Außergewöhnliches sei – und seine Schwester behauptete noch immer, er liebe keine als sie. Dennoch mußte er ihrer Cousine auffällig den Hof gemacht, er mußte eine schwerwiegende Indiskretion begangen haben, denn eine kleinere Entgleisung hätte die Briefschreiberin, wie Fanny sie kannte, wohl kaum ihrer Beachtung wert gefunden …
Fanny fühlte sich sehr beunruhigt und mußte es bleiben, bis sie wieder von Miss Crawford hörte. Es war ihr einfach unmöglich, nicht weiter an den Brief zu denken, und sie konnte ihr Herz nicht erleichtern, indem sie mit irgendeinem Menschen darüber sprach. Miss Crawford hätte es nicht nötig gehabt, sie so dringend zur Geheimhaltung zu ermahnen, sie hätte sich darauf verlassen können, daß Fanny selbst wußte, was sie ihrer Cousine an Diskretion schuldig war.
Der nächste Tag brachte keinen weiteren Brief. Fanny war enttäuscht. Sie konnte den ganzen Morgen kaum an etwas anderes denken; doch als ihr Vater nachmittags wie gewöhnlich mit der Zeitung erschien, war sie so weit davon entfernt, irgendeine Aufklärung auf diesem Wege
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