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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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Das heißt, eigentlich konnte es nur eine Teilnehmerin nicht.
    Nämlich ich.
    »Sollen wir jetzt die Knie dabei durchdrücken oder nicht?«, erkundigte sich Plisch, noch etwas ungeduldiger als vorher, und federte gummiartig in den Knien wie eine olympische Kunstturnerin.
    »Ja«, sagte ich sanft, »jeder so gut wie er kann.« Dabei versuchte ich vergeblich, es ihr nachzumachen. Waren meine Handflächen unten, waren meine Beine krumm. Waren die Beine gerade, schwebten die Hände auf Knöchelhöhe. Ich begann zu ahnen, dass eine Yogalehrerin schlimmere Defizite haben konnte als den fehlenden Kopfstand.
    Wir standen auf Füßen und Händen voreinander wie Hunde,
kurz bevor sie am Laternenpfahl das Beinchen heben, und fixierten uns. Plisch schüttelte ärgerlich den Kopf.
    »Ich dachte, Sie bringen uns hier was bei.«
    »Jeder darf seine eigenen Grenzen spüren. Das ist ja das Gute am Yoga.«
    »Und ich dachte, es hilft gegen Rückenschmerzen. Sagt mein Hausarzt jedenfalls.«
    »Ja. Das auch.«
    Während Plisch und ich uns noch unterkühlt angifteten, hatte Anna ein Herz und machte die Übung weiter. Bein nach hinten, zweites Bein nach hinten, Stütz, Brustkorb runter, Kobra. Alle hielten gut mit, sogar Frau Stövers erste Kobra hatte ordentlich Biss. Meine Schüler waren begabt. Wahrscheinlich begabter als ich.
    Meine erste Stunde als Yogalehrerin war vor allem eins: eine Lektion in Demut.
    Während IPS sich noch immer auf dem Boden kugelte, machten wir viermal die Sonnengruß-Übungsreihe. Buddha sagte nichts dazu, er wechselte eifrig die Farben. Meine neuen Handgelenkswärmer vom Namaste-Versand verteilten mittlerweile nicht nur Energie in meinem Körper, sie fühlten sich so heiß an, als könnte man auf ihnen Chai kochen. Stumm schwitzten wir vor uns hin.
    Und dann fiel mir etwas ein, das mich in der nächsten Sekunde noch viel mehr zum Schwitzen brachte. Ich hatte Steve völlig vergessen. Der wartete mindestens seit fünf Minuten gegenüber im Einkaufszentrum, in Barbies Bierbar.
    »So«, sagte ich und versuchte, meiner Stimme die Hektik nicht anmerken zu lassen, »das reicht auch fürs Erste.«
    »Und was ist mit der Schlussmeditation?«
    Verblüfft sah ich Lisa-Marie an.
    »Na, die Schlussmeditation. Also, zu Beginn des zweiten Lehrjahres durften wir uns doch ein Wochenende aus dem ›Moments for me‹-Katalog aussuchen, und da war ich beim Power Yoga in der Eifel. Die haben immer …«
    »Das mit der Schlussmeditation ist eher für die Fortgeschrittenen, das machen wir nächstes Mal«, würgte ich sie ab.

    »Ich dachte, jeder kann hier einsteigen und testet seine eigenen Grenzen?«, fragte sie säuerlich.
    Ich warf einen Seitenblick zu Buddha. Er glühte rot vor sich hin und schwieg. Wenn man ihn dann mal wirklich brauchte, fiel ihm auch wieder nichts ein.
    »Man muss das vorsichtig angehen«, übernahm Anna und legte Lisa-Marie eine Hand auf die Schulter. »Beim Yoga werden Energien freigesetzt, das muss man behutsam steigern.«
    Ich warf einen dankbaren Seitenblick auf Anna und nickte stumm.
    Während ich schnell meine Sachen zusammenraffte, spürte ich, wie jemand hinter mich trat.
    »Evke? Ich wollte …«
    »Ähem, weißt du, Ilona, es tut mir leid. Aber fürs Schwangerschaftsyoga bin ich, glaube ich, nicht richtig qualifiziert. Vielleicht.…«
    »Ist völlig in Ordnung«, sie winkte ab, »ich wollte etwas ganz anderes mit dir besprechen.«
    Dabei sah sie mich plötzlich sehr ernst an. Was war da los? Hatte es etwa Klagen über meine neuen Musterbriefe gegeben? Als Pressesprecherin kam ihr ja immer eine Menge zu Ohren.
    »Entschuldige«, sagte ich und stopfte hektisch meine Handgelenkwärmer in meine Sporttasche, »ich muss dringend los, ich bin gleich noch verabredet.«
    »Okay«, sie nickte, »aber ruf mich in den nächsten Tagen mal an, ja?«
    Ich versprach es, dann zog ich Buddha den Stecker. Er wurde ziemlich blass. Selber schuld. Hätte er vorhin mal den Schnabel aufgemacht. Aber so langsam hatte ich verstanden: Der Gute mischte sich immer nur dann ein, wenn ich ihn nicht gebrauchen konnte. Wenn ich mal dringend um einen Rat verlegen war, dann hüllte er sich in göttliches Schweigen.
    Auf dem Weg nach draußen fragte ich mich, ob er das mit Absicht tat. Und was ich daraus lernen sollte.

VRICHIKASANA
    Der Skorpion (Vrichikasana) befördert gleichzeitig die mentale Ausdauer und die innere Harmonie.

    Barbies Bierbar lag zwischen dem Vollwertkoststand »Grünschnabel« und einem Ökokäsehändler.

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