Mappa Mundi
war sie selbst. Sie war nicht mehr wie früher, nicht einmal so wie noch vor einer Sekunde. Ein Wort stand ihr in den Kopf geschrieben, als wären alle Überraschungen der Welt in ein einziges Wort eingerollt, in ein Zuckertüten-Achterbahn-Kernexplosions-Wort: Selfware.
Sie blickte in das traurige Auge der Kamera. Die Linse oszillierte und schimmerte. Natalie war, als fiele sie durch Wasser, und dann sah sie nur noch Weiße: eine reine arktische Blindheit, die von allen Seiten auf sie einstürmte, rasch gefolgt von Schweigen, Druck, Dunkelheit.
Anscheinend erwachte sie augenblicklich und lag wieder im Bett von Q-1, die Bettdecke an ihren Seiten festgesteckt. Diesmal, beschloss sie, wollte sie den Hinweis ernst nehmen und die Zeit benutzen, um herauszubringen, was außerhalb dieses verdammten Zimmers eigentlich genau vor sich ging.
Eine halbe Stunde später, Natalie betrachtete gerade auf ihrem Pad einen Scan ihres eigenen Gehirns, kam Dan herein und setzte sich mit raschelndem Overall zaghaft zu ihr auf die Bettkante. Mittlerweile war es sieben Uhr, und das Abendessen, das die Klinik ihr serviert hatte, war auf dem Tisch kalt geworden. Sie hob den Kopf und grinste ihn an. »Wie ich höre, hast du es aufgehalten. Mein Held.« Sie blickte auf das Einzelbild des Scans, während sie das Pad zur Seite legte. Mit ihren alten Scans besaß er keinerlei Ähnlichkeit. Sie wusste nicht, wem er nun ähnelte.
»Aber die kleinen Mistviecher sind immer noch in deinem Kopf, und sie funktionieren«, sagte Dan im Frageton und wies mit einem Nicken auf die Scan-Darstellung. »Sie unterscheiden sich von dem alten MapScan-System, das du in NervePath eingebaut hattest.« Er machte einige ausladende Gebärden, die Natalie als Gesten eines Zauberers verstand, der ein Kaninchen aus dem Hut zog, und zuckte fragend mit den Achseln, wie das wohl sein könne.
Sie schüttelte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass auch sie keine Ahnung habe. »Vermutlich hat Bobby mich infiziert. Sie sind jedenfalls da. Und funktionstüchtig«, sagte sie und schob den Scanner weg. Darunter kamen einige Ausdrucke zum Vorschein. Sie schnipste das Papier zu ihm, damit er es sich ansehen konnte. »Hier, schau dir das an. Die stammen aus meiner Gestaltungstherapie.«
Dan blätterte durch die vielfarbigen Bilder von Natalies Gehirn, von denen einige mit 3-D-Grafiken aufbereitet waren. »Scans deines Kopfes.« Er zögerte; sein Wissen um ihre Situation machte ihn unbeholfen und unsicher. Sie spürte deutlich, dass er sie wie eine Fremde empfand.
Er sagte: »Sehr viel Aktivität, und die Streuung ist …«
Natalie schnitt ihm mit einem Winken ihrer Hand das Wort ab, als wäre es nicht von Bedeutung, und hoffte, ihn damit zu beruhigen. »Ja. Das hier gefällt mir ganz besonders.« Sie hielt eins in einem fahlen Grün und Rot hoch. »Ich benenne sie danach, worauf ich mich konzentrierte, während ich das Bild aufnahm. Sie sind Estoire-Kunst. Nach mittelalterlichen Karten benannt. Geschichten aus dem, was ich dachte. Karten meiner inneren Einsamkeit.«
»Und was stellen sie dar?«
»Das hier heißt: Verpisst euch! Das hier ist: Macht sofort die Scheiß-Tür auf, ihr Drecksäcke! Und das hier: Ich zahle es euch allen heim, verlasst euch drauf.«
»Ich nehme nicht an, du hast auch eins, auf dem steht: Verpiss dich, Dan, du zugedröhnter Arsch, du bist gefeuert.«
»Doch, aber ich sag dir nicht, welches das ist.«
Sie legte die Blätter aufs Bett und betrachtete ihn eingehend. Nein, Dan hatte sich zwar nicht in die Täuschungsmanöver der da draußen verwickeln lassen, aber in einem anderen Spiel war er zum Bauern geworden. Das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit noch so vielen Worten hätte sie nicht sagen können, wieso es ihr so klar erschien. Seit sie zum zweiten Mal erwacht war, besaß sie offenbar neue Sinne ohne körperliche Entsprechungen. Sie wusste es, und das genügte ihr. Selbstverständlich konnte sie falsch liegen, vielleicht träumte sie, vielleicht war sie psychotisch. Das würde allein die Zeit erweisen. Sie wünschte sich, mit Dan nach Hause gehen zu können, um sich zu betrinken.
Dans normalerweise fröhliches Gesicht erschlaffte. Er sank in sich zusammen und schob die Bilder beiseite. »Tut mir Leid, Nat.«
»Ja, ich weiß.« Sie tätschelte ihm die Hand, und befangen mieden sie es einen Augenblick, sich anzusehen. »Auf jeden Fall sollten die Tests, die sie um acht mit mir machen wollen, die letzten sein. Ich hoffe, du hast die Wohnung
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