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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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und stellte die Einkaufstüte auf die Frühstückstheke. Sie entdeckte die offenen Konservendosen. Aus irgendeinem Grund hatte er sich an ihnen ausgetobt. Weil sie ihn an das Reservat erinnerten? Mary wusste, dass Jude Erdnussbutter verabscheute. Die Konservendosen konnten einen Wutanfall über die scheinbaren Ungerechtigkeiten im Leben seiner Schwester ausgelöst haben, über die nur zu reale Furchtbarkeit ihres Todes. In der Trauer taten die Menschen noch viel Seltsameres.
    Dann bemerkte sie die Bilder, die abgenommen und zerrissen waren. Die perlenbesetzten Stücke waren Familienerbstücke – tief mit allem verflochten, was er mit White Horse gemeinsam gehabt hatte.
    Als sie sich die Bilder genauer ansah, entdeckte sie auf dem Fußboden die zusammengeknüllte Pappschachtel. Sie hob die Kugel auf. Es war ein leerer Teebeutelkarton gewesen. Jude war ein Ordnungsfanatiker. Er warf keinen Müll auf den Boden. Er hätte seine Wohnung niemals so hinterlassen. Sie legte die Pappkugel fort und ging rasch durch die anderen Zimmer. Nichts zu finden, doch hier herrschte die gewohnte Ordnung. Sie rief wieder nach ihm, erhielt aber wieder keine Antwort.
    »Scheiße«, sagte sie leise und setzte sich aufs Sofa. In diesem Moment erst fragte sie sich, ob er überhaupt allein gewesen war. Natalie Armstrong – er hatte sich schon einmal mit ihr in Verbindung gesetzt. War sie hier gewesen? Das herauszufinden konnte durchaus einige Stunden in Anspruch nehmen und eine hässliche Szene provozieren, wenn er in seine Wohnung zurückkehrte, während die Spurensicherung noch an der Arbeit war. Trotzdem ließ die Idee Mary nicht los.
    Sie starrte auf die Reste der Teeschachtel. Vage kam ihr die Erinnerung an das letzte Mal, als sie mit ihm hier gewesen war und an der gleichen Stelle auf dem Sofa gelegen hatte, an der sie jetzt saß. Jude hatte ihr die Füße massiert, und sie hatte etwas gesagt, dass nur noch ein Beutel Tee da sei. Jude trank keinen Tee. Er hätte nicht daran gedacht, neuen Tee zu besorgen, weil er beim Einkaufen ein hoffnungsloser Fall war, keinerlei Organisation – das genaue Gegenteil zu seinem häuslichen Verhalten.
    Bedeutete diese Pappkugel, dass er auf sie wütend war? Aber weshalb?
    Sie rief den Polizeibericht ab und vergewisserte sich, dass White Horse vor über zwei Stunden identifiziert worden war. Jude hatte das Leichenschauhaus abrupt verlassen, merkte der Bearbeiter an, obwohl er vorher verlangt hatte, dass ein Beamter der Mordkommission eine Aussage zu Protokoll nahm.
    Er musste begriffen haben, wie nutzlos das war. Folglich ahnte er recht gut, welches Ausmaß die Sache hatte, in die sie beide verwickelt waren. Er wusste also mehr, als er ihr gesagt hatte. Das stand fest. Aber wie viel?
    Mary knirschte mit den Zähnen und wählte das Büro von Special Sciences an, um zu sehen, was er vom Vortag berichtete, als er in Perez’ Auftrag nach Atlanta geflogen war. Sein Eintrag im Formular lautete: Kontaktmann traf nicht zum vereinbarten Zeitpunkt am Treffpunkt ein. Seine Anschrift wurde unter Benutzung des Datapilots Nostromo ermittelt. Kontaktmann wurde tot aufgefunden [siehe CrimeRef 1HX8897]. Der Fall wurde der Ortspolizei gemeldet und zur Aufklärung an die regionalen FBI- und Polizeidienststellen weitergegeben. Keine Nachrichten oder Beweismaterial, das mit dem Kontaktwunsch [CE9Y7] in Zusammenhang stand, wurde aufgefunden. Erwarten Bericht des Gerichtsmediziners.
    Und das war zu neun Zehnteln weniger als nichts.
    Es sei denn natürlich, Jude log.
    Doch sie hatte keine Möglichkeit, das herauszufinden. Ihres Wissens hatte er noch nie gelogen, doch als geübte Täuscherin wusste sie selbst am besten, wie wenig das zu sagen hatte. Um mit einer Lüge erfolgreich durchzukommen, war es besser, normalerweise wahrheitsgetreu zu berichten, sodass nie Verdacht entstand. Und er konnte geglaubt haben, gute Gründe zu haben, nicht zu reden – als sie in der Bar versucht hatte, ihn auszuhorchen, war sein Unbehagen deutlich zu sehen gewesen. Vielleicht hatte er sogar geglaubt, er würde sie durch sein Schweigen schützen.
    Was immer Jude tat – solange es nichts mit Natalie Armstrong zu tun hatte, war es Mary recht. Armstrong jedoch war das Problem, dessen sie sich nun sofort annehmen musste. Sie musste sie finden und wieder in die richtige Bahn bringen. Die Geschichte mit dem Gefangenenbus, so unfassbar sie auch klang, hatte bei Mary ein Glöckchen klingeln lassen – hatte Patient X nicht etwas Ähnliches getan?

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