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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Aufenthalt nicht dadurch verriet, dass er wiedererkennbare örtliche Einzelheiten im Hintergrundbild übermittelte.
    Noch während er darüber nachsann, erreichte er die winzige Yorker Innenstadt. Er versuchte, nicht darüber zu spekulieren, was Natalie in der Datei entdeckt hatte. Stattdessen rief er sich ins Gedächtnis, wie sie in deren Besitz gelangt war. Natalie Armstrongs Hände an seinem Kopf und ihr unverwandter Blick; wie sie sich verständigen konnten, ohne zu sprechen, die unhörbare Konversation, die sie über die Bandbreite der Iris geführt hatten … Er schritt flotter aus, als er daran dachte, und sein Herz pochte schneller. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er fragte sich, was das bedeutete (obwohl er es eigentlich schon wusste und nur nicht zugeben wollte, weil ihm das unbehaglich war). Lieber befasste er sich mit diesem Kuriosum als mit dem letzten Fetzen Information über den Scanner, den er von Natalie bekommen hatte – der ihm verriet, dass White Horse ihn noch in einer anderen Hinsicht belogen haben musste.
    Die Innenstadt war belebt, obwohl ein leichter Regen in großen Tropfen fiel, als läge gleich hinter dem Hügel der Ozean, der wallend langsam anstieg und die Stadt in seine Gischt tauchte. Auf den mit glitschigen, kopfsteingepflasterten Straßen zwischen den Shambles und dem bizarr benannten Whipmawhopmagate kämpften Touristen aus China und Europa um Plätze. Es war älteste Teil des Ortes, und die Ladenbesitzer kleideten sich um des »Kolorits« willen im Stil des dreizehnten Jahrhunderts. Jude wurde von einem Dutzend Fotos und Überwachungskameras erfasst, bevor er den relativ unbelebten Platz vor einem modernen Gebäude erreichte, wo man kurzfristig Büroräume mieten konnte. Dort probierte er das öffentliche Telefon und rief seine eigene Wohnung an. Er hoffte inständig, dass seine Schwester dort war, doch er bekam nur den Antwortdienst an den Apparat. White Horses persönliche Rufnummer wies ihm mit einem »Empfänger-abgeschaltet«-Signal zurück, das vom Versagen der Batterie bis zu ihrem Tod alles bedeuten konnte.
    Jude hatte das Gefühl, White Horse wisse verdammt gut, dass er sie zu erreichen versuchte, es aber missachtete. Da er nun für sie ermittelte, nachdem sie die Zähne fest in ihn geschlagen hatte, interessierten sie nur noch Resultate, und selbst wenn er zu ihr durchgekommen wäre, hätte sie ihn nur heruntergeputzt, weil er ihre Methoden anzweifelte. Er knallte den Hörer so fest auf die Gabel, dass das Plastik einen Riss bekam. Ihm genügte es schon, wenn er an den pseudomarxistischen Scheißdreck dachte, den White Horse ständig absonderte. Er brauchte gar nicht wirklich mit ihr zu sprechen, denn er wusste genau, wie das Gespräch abgelaufen wäre:
     
    ER: Du hast das Ding gestohlen. Woher hast du es?
    SIE: Das hab ich dir doch gesagt. Ich hab es in Marthas Laden gefunden, im Hinterzimmer.
    ER: Du willst mich wohl verscheißern.
    SIE: Was spielt das überhaupt für eine Rolle, woher ich es habe? Du hast es jetzt, und es muss mit der ganzen Sache zusammenhängen. Ein greifbarer Beweis. Genau das, was du immer haben willst. In deiner dämlichen Untersuchung gegen diesen Iwanow, mit der du dich seit fünf Jahren abstrampelst, findest du nichts. Jetzt finde ich was, und was machst du? Zicken!
    ER: Sag mir nur dieses eine Mal in deinem Leben die Wahrheit. Woher hast du es?
    SIE: Mach doch die Arbeit, auf die du so wild gewesen bist. Wann gehst du mal für etwas Wichtiges ein Risiko ein? Wann ergreifst du endlich mal eine Chance? Angsthase! Glaubst du etwa, sie kommen zu dir, setzen sich auf deinen Schoß und gestehen?
    ER: Du weißt, dass ich es trotzdem rauskriege. Kannst du es mir nicht einmal ein wenig einfacher machen?
    SIE: Einfacher? Einfacher! Pah! Dein ganzes Leben ist viel zu einfach.
    ZACK! Brrr … Der Hörer knallt auf die Gabel.
     
    Und im Eifer des Streits hätte Jude sie nicht einmal auffordern können, das verfluchte Ding so bald wie möglich loszuwerden, bevor sie deswegen vom Strafvollzugssystem verschluckt wurde – oder umgebracht. Eigentlich musste sie sich im Klaren sein, dass so etwas im Rahmen des Möglichen lag. Doch Jude sah das eigensinnige Gesicht seiner Schwester vor sich, ihre Verachtung für Gefahren und offizielle Kanäle und alles und jeden, der behauptete, so gehe es nicht. Er hätte gewettet, dass sie das Gerät ständig bei sich trug, genauso wie das Polaroid-Foto ihres niedergebrannten Hauses, das er aus der Innentasche ihrer

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