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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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sie den Kode für »Nichts zu Berichten« ein und schickte es an ihre andere Chefin, die ebenfalls in Washington saß, aber in einer ganz anderen Umgebung.
    Es war eine Lüge.
    Genauer gesagt, waren beide Nachrichten gelogen. Der FBI-Bericht enthielt nur, was sie erfunden hatte, damit Perez und Jude es lasen. Darin stand, das Labor in Orlando sei geräumt gewesen, als sie und ihr Team es aushoben. Dort fänden keine DNA-Resequenzierungen mehr statt, mit deren Hilfe frisierte Babys entstanden, die entweder sekundäre Geschlechtsmerkmale entwickeln würden, wie man sie sonst nur in NetPorn fand, oder die Gehirne mit übersteigerter Intelligenz aufwiesen. Die USA produzierten wieder wie gewöhnlich all das Chaos, das die Natur schon hervorbrachte, denn das war besser als vorherzuplanen; das Perfektionierungsgesetz machte das überdeutlich. Darum würde Perez zufrieden sein, dass wenigstens das Labor geschlossen worden war, auch wenn Mary niemanden hatte verhaften können. Und ihre andere Chefin, die geheime Vorgesetzte im Pentagon, würde ihr eine dicke Belohnung spendieren. Alles für Lügen.
    Mary war es gewöhnt zu lügen; sie fand es mittlerweile nicht mehr nervenaufreibend, allenfalls mühselig, sich ständig etwas Neues auszudenken. Ihre Hand auf dem Schaltknüppel des Porsche zeigte kein einziges Schweißtröpfchen. Sie verließ den Parkplatz und bog auf den Highway in die Richtung, aus der sie gekommen war, lauschte, wie der Motor hochtönend und kehlig auf Touren kam, weckte die Pendler auf.
    Der Bericht enthielt durchaus winzige Teile der Wahrheit. Das Gensequenz-Labor war so leer geräumt worden, wie es in Anbetracht der knappen Zeit möglich gewesen war, und nun lag sämtliches beschlagnahmtes Aktenmaterial auf ihrem Schreibtisch. Sie würde es durchgehen, damit kein belastendes Detail jemals den Weg in Judes Untersuchungsakten fand. Deshalb kam es ihr so vor, als versänke ihr Fuß im Boden. Weil sie Jude belog.
    Am liebsten hätte sie geschrien, weil Jude in all den Jahren, die sie so hart darauf hingearbeitet hatten, Iwanow festzunageln, nie bemerkt hatte, dass der Kern seiner Schwierigkeiten neben ihm saß, lächelte, wenn sie ihm einen Kaffee auf den Schreibtisch stellte, ihm einen Gutenachtkuss auf die Wange drückte, ihn nach einer Krise in die Arme nahm, am Freitagabend im Goodenough’s ein Bier mit ihm trank, sich mit ihm Baseballspiele ansah und Popcorn aß. Jude war klug, doch wo seine Klugheit endete, war so gutgläubig, wie es günstiger nicht hätte sein können: Hatte er sich einmal zur Loyalität entschlossen, war er blind. Als Doppelagent hätte er niemals so lange durchgehalten wie sie. Und sie fragte sich, wie man sich wohl fühlte, wenn man so war wie er.
    Sie überfuhr eine Ampel, die gerade auf Rot sprang, wurde automatisch von der örtlichen Verkehrs-KI geblitzt, sendete ihr ihren Kode und sah zu, wie die Verwarnung aus dem Bordsystem des Porsche verschwand.
    Mary kannte keinen netteren Menschen als Jude. Sie mochte ihn sehr. Manchmal glaubte sie sogar, ihn zu lieben, oder dass sie ihn hätte lieben können, hätten ihre Lebensumstände es ihr erlaubt. Wegen dieser Lebensumstände durfte Jude niemals erfahren, dass das von Iwanow betriebene Gensequenzierungslabor nicht nur die DNA privilegierter Ungeborener aus den ganzen USA perfektioniert, sondern noch einem anderen Zweck gedient hatte, der ethisch weitaus suspekter war – und zwar im Namen der nationalen Sicherheit. Die nationale Sicherheit zu schützen hatte sie geschworen, doch eigentlich wollte sie Jude behüten, sodass er niemals von Mappa Mundi erfuhr. Nicht, wenn sie es verhindern konnte.
    Sie drückte den Fuß so fest aufs Gaspedal, dass sie ihn bewusst zurückziehen musste. Der Strumpf verrutschte in ihrem Schuh, der Absatz bohrte sich in den Boden. Der Wagen verlangsamte von achtzig auf fünfzig Meilen. Das Brüllen in ihren Ohren ließ nach. Mit dem Verlust an Geschwindigkeit spürte Mary das erste Nachlassen ihres Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten.
    Sie wusste, dass es zu spät war. Deutlich spürte sie das Gewicht der Pistole unter ihrer Jacke, die ordentlich im Schulterhalfter unter ihrem linken Arm steckte.
    Sie fragte sich, ob es noch einen anderen Ausweg gab. Jude konnte auf einen neuen Fall angesetzt werden. Oder vielleicht war es geplant, dass sie enttarnt wurde – ihre Entlarvung als Teil eines größeren Planes, in den kleine Rädchen im Getriebe wie Mary nicht eingeweiht wurden. Sie wusste, dass nicht

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