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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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für den Standpunkt ihres Vaters hatte, sie sei zu sehr engagiert und erstelle Theorien auf Grundlage ihrer eigenen Psychosen. Doch auch das war nur ein Aspekt des größeren Ganzen.
    Deer Ridge stellte eine sehr frühe Version von Selfware dar, über die seine Regierung verfügte. War das eine gute Sache?
    Er hätte es gern geglaubt, doch tief in seinem Herzen spürte er Argwohn aus älterer Zeit.
    Selbst heutzutage beachtete man nicht die alten Verträge, die mit dem Volk seines Vaters geschlossen worden waren. Niemals war eine Entschädigung gezahlt, niemals war auch nur ein Fehlurteil oder gar die Absicht zum Völkermord eingestanden worden. In den Augen der Cheyenne hatte die halbe US-Regierung keinerlei Anspruch auf Bewährung, im Gegenteil. Hätte man damals über Mappaware verfügt, gäbe es längst keine Cheyenne mehr.
    Selbst wenn die Entdeckung ihre guten Seiten besaß, konnte Jude nicht glauben, dass sie in den Händen der USA nur zum Guten angewendet würde. Natalies Entdeckung war vielleicht die Möglichkeit, alle Meinungsverschiedenheiten zu beenden – wir alle wären gottesfürchtige, bibelkundige, materialistische Selbsttäuscher. Jeder könnte fröhlich einkaufen und glücklich sein. Und wenn sie wirklich glücklich waren – spielte es dann noch eine Rolle, woher das kam? Wäre es nicht besser als das Elend, das man heute in Deer Ridge sieht, wo achtzig Prozent ohne Arbeit sind und man ein Plenarrechtssystem hat, das den Löwenanteil von jeder Vergünstigung einstreicht und dabei einen unscharfen Begriff nach dem anderen ins Feld führt, allen voran »Respekt vor den überlieferten Wegen«?
    Und da war er, Jude, der White Horse via Channeling Nachrichten sandte, obwohl er nicht an das Übernatürliche glaubte. Er schüttelte grinsend den Kopf. Das eine oder das andere? Er sagte sich, dass er lieber eine Menge aufgeschobene Entscheidungen in Kauf nähme, die er vielleicht nie richtig fällte, als starr zwischen nur zwei Möglichkeiten wählen zu müssen.
    Er sandte eine Nachricht an Mary, in der er sie wissen ließ, in einigen Stunden sei er wieder da. Noch mehr herauszufinden, ohne sie einzuweihen, wäre zwar nicht ganz einfach, doch zuvor hatte er herauszufinden, ob sie aus dem, was hier wirklich vor sich ging, eine offizielle Untersuchung machen musste. Wenn er seit seinem Beitritt zum FBI eins gelernt hatte, dann zu denken, bevor er handelte. Wenn er eine echte Chance haben wollte, musste er Mary vorher auf seine Seite ziehen.
     
    White Horse ahnte nicht, dass sie beschattet wurde. Sie rechnete zwar damit und hielt unauffällig, wie sie hoffte, nach Verfolgern Ausschau, doch sie entdeckte nichts – und sie hätte auch gar nicht gewusst, worauf sie achten sollte. Für sie lief es insgesamt darauf hinaus, dass sie ahnungslos war. Weil sie den Weg von ihrer Ankunft noch kannte, kehrte sie zum Hauptbahnhof zurück und folgte zwei äthiopischen Schulkindern mit identischen, knallrosa Butterbrotkästen, auf denen der neueste Zeichentrickheld aus dem Fernsehen prangte und in flott-dreistem Tonfall Worte zu seinem Besitzer sprach, die White Horse nicht verstand.
    Sie passierte rasch und zielstrebig die Ladenzeile und den Museumsbezirk und gelangte auf den langen Streifen, wo viele Leute gingen und das Gelände offen war. Sie mochte es, wenn sie weiter sehen konnte als bis zum nächsten Häuserblock. Sie wollte das Gefühl haben, fliehen zu können.
    Weil ihre Verfolger zu sechst waren, miteinander über Ohrhörersprechfunk in Verbindung standen, sie im dichten Morgengedränge gekonnt umringten und dabei professionell immer wieder die Positionen tauschten, bemerkte White Horse keinen einzigen von ihnen. Nur einer ihrer Sinne machte anscheinend Überstunden und bewegte sie, sich eine Eintrittskarte für das Luft- und Raumfahrtmuseum zu kaufen. Nicht dass sie eine Vorliebe für Flugzeuge gehabt hätte – und das Raumfahrtprogramm, mehr eine historische Kuriosität als lebendige Wissenschaft, lag ohnehin im Todeskampf –, doch sie ging hinein und eilte zu einem vollen Aufzug. Ihre Instinkte befahlen ihr, das Gesicht eines jeden zu mustern, der sich ihr durch die Türen näherte. Einer von ihnen musste es sein.
    Die Türen glitten zu, und sie fühlte sich schwerer, als der Aufzug anfuhr. Beim ersten Halt stieg White Horse aus und fand sich vor einem Teil, das zur Enola Gay gehörte. Von allen Seiten umschlossen sie Fotografien und Montagen von schreienden, sterbenden Menschen. White Horse konnte das

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