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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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auf.
    Das Problem der Diagnose hatte einige Zeit in Anspruch genommen, und selbst danach begriff er es nicht. Die Ärzte sagten, er habe die Fähigkeit eingebüßt, Lebewesen wahrzunehmen. Und dieser graue, schimmlige braune Eindruck, die formlose, undefinierbare, veränderliche Masse, die nichts war, so sah er nun ein Lebewesen. Ihm erschien es nicht gerecht, dass ein Gehirn durch einen einzigen Schlag gegen den Kopf dermaßen durcheinander geraten konnte, doch genau das behaupteten die Ärzte, und weil er wollte, dass es stimmte, pflichtete er ihnen bei und gewöhnte sich daran.
    Bobby X war der Name, den er erhalten hatte, als er in die Sondertherapie kam. Sie sagten Bobby, sie würden ihn jetzt wieder in Ordnung bringen, und endlich war der Tag gekommen. Sie benutzten nicht seinen richtigen Namen, sagten sie, weil er eine Art Freiwilliger sei und die Therapie in gewisser Weise geheim und unerprobt, und wenn er sie für sie erprobte, wäre er ein Pionier. Ob ihm das gefiele?
    Bobby war es gleich. Er wollte nur, dass alles wieder wie früher wurde. Natürlich hatte er Ja gesagt. Was blieb ihm für eine Wahl? Nach Hause zu gehen zu seiner Frau und seinen Kindern, die ihm eine Heidenangst einjagten, so wie sie aussahen … repulsiv war das einzige Wort, das auf seine Mischung aus Abscheu und dem Eindruck der Unrichtigkeit noch am ehesten passte.
    Jetzt aber, wo es so weit war, kroch ihm die Furcht in die Knochen. Er wollte das Experiment doch lieber nicht mitmachen. Was, wenn hinterher alles wie dieses rattenfarbige Nichts aussah? Was, wenn er nicht durchkam? Dann saß er vielleicht bis ans Lebensende im Irrenhaus, musste als Idiot, als eine Schande für die Familie leben. Vielleicht vergaß man ihn auch, und er starb in seiner Gummizelle, zerfiel zu Rattenstaub.
    Er horchte auf den Fernseher, um wachsam zu bleiben. Zuschauen konnte er nicht, nur zuhören. Als die Schwester hereinkam und ihm Toast und etwas zu trinken brachte, drehte er den Kopf zur Seite. Er wusste zwar, dass es nur die Schwester war; trotzdem konnte er ihren Anblick nicht ertragen. Es war, als genügte es nicht mehr, etwas zu wissen. Er konnte »wissen«, so sehr er wollte, dass es Menschen waren, doch wenn sie zu ihm kamen, sah er – Unbeschreibliches. Sie sagten, die Rattenfarbe käme von seinem Abscheu, und er bilde sie sich nur ein.
    Seinem Gefühl zufolge war das falsch. In ihren seltsamen Bewegungen, der unbegreiflichen Art und Weise, wie sie sich seinem Verständnis entzogen, gehörte die Farbe genauso zu ihnen wie die Scheußlichkeit ihrer plötzlichen Berührungen. Zu betäuben brauchten sie ihn nicht, hatten sie gesagt. Sie hätten ihm kleine Dinger in den Kopf getan, die ihn reparieren sollten, und es würde überhaupt nicht wehtun.
    Das glaubte er nicht. Er glaubte es einfach nicht. Bobby X. Den Namen hatte er so oft gehört, dass er ihm echter vorkam als sein richtiger Name. Wenn er in diesem Zustand blieb, würde er für immer so heißen. Ein geheimnisumwitterter Mann, wie ein Revoluzzer. Ihm gefiel der Klang des Namens, aber nicht die Realität dahinter. Wenn er so bleiben sollte – er wollte lieber sterben als allein unter diesen Ungeheuern zu leben, die redeten, als würden sie ihn kennen und er sie. Wenn es nicht funktionierte, fände er schon einen Weg. Würde Tabletten beiseite schaffen oder so etwas. Er fände einen Ausweg.
    Mit diesem Anschein eines Planes fühlte er sich besser.
    Er trank von seinem Tee.
     
    Natalie beobachtete Bobby von der Tür aus und las hinter seinem Rücken ihren Handscanner ab. Das Gerät besaß eine beträchtliche Reichweite, und sie wollte ihn nicht noch mehr aufregen, als er schon war. Später, in der Zukunft, konnte sie vielleicht die gesamte Behandlung überwachen, ohne dass er etwas davon merkte, doch wie die Dinge lagen, war Bobby das Versuchskaninchen und musste so lange durch die Ringe springen, wie sie brauchten, um sein neues Hirngewebe zu kalibrieren.
    Auf die Begegnung mit ihrem Vater freute Natalie sich ganz und gar nicht, doch sie zögerte das Zusammentreffen nicht hinaus. Sie wappnete sich mit Erinnerungen an die vorige Nacht und brachte ihre Messwerte unverzüglich in die Therapie-Suite. Ihr Vater hatte sich dort mit dem Häkelmann, Bill, dem Administrator des Computerparks, über die letzten Detailänderungen den Kopf heiß geredet. Sein Bild, das sie aus seinen Labors in Amerika via Satellit erreichte, war lebensgroß auf dem Bildschirm zu sehen. Entweder er oder Bill hätten

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