Mappa Mundi
würde.
»Ja, es gab jemanden«, begann er. Dann wand er sich blitzschnell herum, indem er sagte: »Aber vielleicht war er echt. Ich meine, ich kann es schließlich nicht wissen, oder?«
Shelagh nickte.
Dan beschloss, ihr die Wahrheit zu verschweigen. »Ich meine diesen Asiaten. Ein Ingenieur von einer der großen Firmen, die unsere Computer herstellen. Ich glaube, sie waren zusammen essen. Mehr aber nicht.«
»Sind Sie sicher?« Sie spielte mit den Tasten ihres Pads und überdeckte für einen Moment ihr Bild mit den Fingerspitzen.
Eine Woge der Leere überflutete Dan. Ihm kam es vor, als walze ein gewaltiger Druck all seine Absichten nieder. Er sollte ihr lieber die Wahrheit sagen. Das war sicherer. Das war besser. Er würde sich wieder richtig gut fühlen, wenn er es tat.
»Vielleicht war er Amerikaner«, sagte Dan ohne den bewussten Wunsch, es auszusprechen. Ihm war, als hätten die Wörter ein Eigenleben angenommen und sprängen ihm wie kleine Kobolde von der Zunge, ob er es nun wollte oder nicht. »Ja, das war er. Sein Name war …«, denk an irgendeinen Namen mit J: Jasper, John, Julius, Justin, Jack, Jonathan, Jason, »Jude.« Der Name wurde aus ihm herausgezogen, als hätte Shelagh den Finger in den Bogen des J gehakt und es sich um die Hand gewunden. »Westhorpe« folgte nur eine Sekunde später ohne jeden Widerstand. Sein Kopf war fremd, verschwommen. Vielleicht wurde ihm wieder schlecht.
»Gute Arbeit, Dan«, sagte Shelagh fröhlich, und für eine Sekunde der Desorientierung hielt er sie für eine standhafte Luftwaffenhelferin aus einem Kriegsfilm, die die Jungs wieder anheizte, nachdem der Verband den Jerry in Grund und Boden gebombt hatte und mit nur einem Mann Verlust wieder gelandet war. Es lag an der Stimme, die forsch, steif und britisch war bis ins Mark, außer dass …
Sie musste das Gespräch von ihrem Ende aus getrennt haben. Als Dan wieder zu sich fand, saß er auf dem Fliesenboden. Die Kekse lagen zermalmt unter seiner Hand. Als er versuchte, sich zu erinnern, was passiert war, entzog es sich seinem Zugriff und verschwand ins Niemals. Er hatte das unbestimmte Gefühl, etwas sehr Schlimmes getan zu haben.
Der Vorrat, das war es. Er war hergekommen, um den Vorrat zu beseitigen.
Es gelang ihm, in den Raum mit der Verbrennungsanlage zu schlüpfen, wo medizinischer Sondermüll, der das Gelände der Klinik nicht verlassen durfte, vernichtet wurde. Er warf das gefährliche Päckchen in den Ofen. Ein paar tausend Grad Hitze würden auch für Scotland Yard nicht genügend Spuren übrig lassen.
Wo er schon hier war, warf er die Kekse gleich hinterher. Die Packung hatte er vor Monaten geöffnet.
Als er in den Kaffeeraum zurückkehrte, schob er sich an einem der jüngeren Pfleger vorbei und blinzelte Natalie zu. »Erledigt.«
Sie starrte ihn an. »Was ist los? Du siehst furchtbar aus. Und wofür wolltest du den Scanner haben?«
»Was für einen Scanner?« Dan erinnerte sich an gar nichts. »Keine Ahnung. Es fällt mir schon wieder ein, wenn es wichtig war.«
Sie schüttelte den Kopf. »Reiß dich zusammen, okay? Heute ist der Tag der Tage.«
Als Jude die Tür seiner Wohnung öffnete, sah er sich augenblicklich nach seiner Schwester um.
»Vohpe’hame’e«, rief er; er benutzte ihren Cheyenne-Namen statt der englischen Version, weil er sie damit vielleicht günstiger stimmte.
Jude erhielt keine Antwort. Ihre Tasche war verschwunden, bemerkte er, während er die Zimmer absuchte; genau genommen fand er keine Spur von ihr.
Nein, das war nicht ganz richtig: Im Badezimmer und auf den Kissen ihres Bettes hatte sie einige Haare zurückgelassen – kurze, abgebrochene –, doch das verriet ihm nicht, wie lange sie nach seinem Aufbruch geblieben war. Zwei Tage und drei Nächte war er fort gewesen.
»Scheiße«, sagte er leise in die breiige Stille, die ihm die dreifach verglasten Fenster boten. Einen Augenblick lang wusste er nicht, was er tun sollte. Er drehte sich um, suchte den Küchentisch und die Pinnwand nach einer Nachricht ab, fand aber nichts.
Er rief seinen Nachrichtenrückstand ab:
»Hallo, Jude, hier ist Mary …«
»Mr Westhorpe, hier spricht die MasterCredit-Kundenbuchhaltung. Wir würden Ihnen gern …«
»Jude, Steve hier. Yannick hat das Squash-Team verlassen, und ich dachte, frag mal …«
»Jude, hier Perez. Rufen Sie bitte an, wenn Sie aus Seattle zurück sind. Ich muss mit Ihnen und Mary über den Florida-Fall …«
»Würden Sie nicht auch gern eine Million
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