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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Polizeigewahrsam? Er hatte geglaubt, das ominöse Gerät sei eine Bundesangelegenheit.
    Er stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. Der Fall war viel größer und hässlicher, als er sich hätte träumen lassen.

 
9
     
     
    Während Natalie ihren Kaffee trank, ging sie ein letztes Mal Bobby X’ Krankenakte durch. Bobby war ein achtundvierzigjähriger Bauhandwerker, der drei Stockwerke tief vom Dach gefallen war, als er nach einem schlimmen Januarsturm ein paar Ziegel austauschen wollte. Nachdem die Schwellung seines Gehirns nachgelassen hatte, ließ sich sein Problem in Worte fassen.
    Auf ihrem Pad-Display betrachtete sie eine der Untersuchungen, in denen Bobby versuchte, seine Gedanken zu artikulieren. Man zeigte ihm einfache Videobilder.
    Ein Stuhl war ein Stuhl, aber ein Hund …
    »Das ist ein braunes, bewegtes Etwas mit einem Muster … wie ein Teppich? Es macht Geräusche …« Bobby verstummte, und sein Mund zuckte, während er um eine verständliche Schilderung kämpfte. »Mit seinem Motor.«
    Eine gekochte Möhre auf einem Essteller war für ihn sichtbar, aber eine rohe …
    »Das ist … äh, ein Pflock, mit … Federn an einem Ende. Ich … ist das ein Ruder? Nein, sind das … Blätter? Sie wissen schon, wie an einem Propeller?«
    Nur ein einziges Mal hielten sie ihm einen Spiegel vor. Als Bobby sich selbst erblickte, schrie er auf vor Entsetzen über die Furcht erregenden wachsartigen Massen, die er sah. Natalie war sich nicht sicher, ob er sich nicht doch ansatzweise wiedererkannte – tatsächlich glaubte sie sogar, dass die Erfahrung gerade deswegen so schrecklich für ihn war. Als wie schlimm er seine Auffassungslücke beim Betrachten anderer Menschen auch empfand, es musste zehnmal schlimmer gewesen sein festzustellen, dass er ebenfalls durch die Risse seines Selbstverständnisses hindurchfiel.
    Die Messwerte, die Natalie am Morgen ermittelt hatte, zeigten, dass seine nachgewachsenen Neuronen voll funktionstüchtig waren. Der zweite Schritt der Entwicklung bestand nun darin, Bobbys alte Wahrnehmungsfähigkeit wiederherzustellen. Gelang es, mussten im Umkehrschluss ihre Theorien zutreffen, inwieweit die Software fähig war, sich an ein Individuum anzupassen. Ihre Arbeit mit Selfware hatte das heutige Experiment erst ermöglicht, und sie freute sich schon sehr darauf, Glover vom Ministerium einen beißenden Brief zu schreiben, sobald feststand, dass ohne ihre Ergebnisse ein Erfolg unmöglich gewesen wäre.
    Nach Guskows Verkündigung der erfolgreichen Querverknüpfung von physischer Handlung und geistigem Prozess würde dieses Experiment den nächsten Schritt darstellen und der Entwicklung zahlreicher anderer Programme den Weg ebnen, die sich selbst auf das fragliche Hirn und den fraglichen Verstand maßschneidern würden. Die Behandlung erforderte eine laufende Reaktionsanalyse, was bislang nur in der Laborumgebung möglich gewesen war, wo man die Rechenleistung der Expertensysteme nutzen konnte. Waren sie in Bobbys Fall erfolgreich, genügten die Rückkopplungsschleifen der internen NervePaths, um die nötigen Nachprüfungen durchzuführen. Danach wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die gesamte Technik miniaturisiert werden konnte und sich mobil einsetzen ließ. Nach allem, was Natalie auf Judes Disk gelesen hatte, kamen sie vielleicht ein wenig spät, was den mobilen Einsatz anbetraf … Sie schüttelte den Kopf.
    Ihr Pad erinnerte sie, Bobby abzuholen und hereinzubringen. Sie ließ ihr halb geleertes Glas stehen und stieß Dan an, der sich in eine Ausgabe der Zeitschrift Chat vertieft hatte, die er falsch herum hielt.
    »Komm mit.«
    Als sie an der Tür waren, fragte sie: »Was ist eigentlich mit dir los?«
    »Ich habe Kopfschmerzen«, murmelte er. »Ich muss mir was aus der Apotheke holen.«
    »Ist das alles?«
    »Was hast du denn gemeint?« Aber er konnte ihr nicht ins Gesicht blicken und verbarg seine Augen hinter dem Pony.
    Sie setzte ihm einen Zeigefinger auf die Brust und drückte. »Darüber reden wir noch«, versicherte sie ihm. »Das ist mein Ernst.«
    Dan verdrückte sich, und Natalie musste in die andere Richtung gehen. Sie fragte sich, ob er sich seines Vorrats entledigt hatte, indem er ihn schluckte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er auf der Unfallstation landete. Allmählich wurde er zu einer echten Last, und weil sie bislang so lax mit ihm gewesen war, bekam vielleicht sie die Quittung, wenn er schließlich einen folgenschweren Fehler begann. Wenn es nur nicht

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