Mara und der Feuerbringer
sobald sie hier unten angekommen war. Hier gab es nichts, wo sie sich hätte verstecken können. Außerdem hörte das schmale Ufer in etwa hundert Metern einfach auf zu existieren und lief spitz zu, bis es nur noch Fluss und Mauer gab. In die andere Richtung war es zwar nicht weit bis zu den Brückenpfeilern, aber dort würde ja jeden Moment der andere Polizist die Treppen hinunterstapfen. Die Mauer selbst war zwar hoch genug, um herunterzufallen und sich dabei mit ein bisschen Glück den Arm zu brechen, aber vor allem viel zu hoch, um einfach mal eben daran hochzuklettern. Durch die Isar? Nein, Mara hatte die Nase erst mal gestrichen voll von Flüssen mit starker Strömung und zudem verspürte sie auch keine Lust, irgendwo bei der Floßlende aus dem Wasser zu klettern, während das Flutlicht eines Hubschraubers dafür sorgte, dass sie gut ausgeleuchtet war für den Bericht in den Nachrichten.
Über ihr hörte sie es bereits rascheln und unterdrückt fluchen. Da sah sie auch schon einen schwarzen Schuh mit tiefem Profil, der sich tastend an der Mauer hinunterschabte, um für den Abstieg einen Halt zu finden.
Also entschloss sich Mara nun für den einzigen Weg, der ihr übrig blieb, wohl wissend, dass das zugleich der schwierigste werden würde. Ohne länger nachzudenken, sprang Mara auf, hechtete an den Fuß der Polizistin, zog sich daran hoch wie an einem Kletterseil, während sie die Füße gegen die Wand stemmte und darauf hoffte, dass die Frau irgendwo einen guten Halt gefunden hatte!
Das hatte sie wohl, aber natürlich war die Polizistin äußerst überrascht, dass da jemand an ihr hochkletterte, als wäre sie ein Gerüst auf einem Abenteuerspielplatz. Sie machte nur »Heh!«, und was hätte sie auch sonst tun sollen? Denn sobald sie versucht hätte, Mara festzuhalten, hätte sie dafür ihren Griff in den Büschen aufgeben müssen und wäre zusammen mit ihr auf die Flusskiesel gestürzt.
Also tat die Polizistin das Gegenteil und hielt sich umso fester. Gut für Mara, die bereits mit einer Hand nachfasste und gerade so den dicken, tief hängenden Ast eines Baumes zu fassen bekam. Trotz der Tatsache, dass Sport nicht gerade ihr Lieblingsfach war, schaffte sie es mit dem Mut der Verzweiflung, sich ächzend hochzuziehen, trat dann der Polizistin auf die Schulter, als wäre die eine Trittleiter, rappelte sich auf, rannte im nächsten Moment schon über den Gehweg und über die Straße und verschwand kurz darauf zwischen den parkenden Reisebussen gegenüber.
Bevor sich die Polizistin schimpfend aus dem Gebüsch befreit hatte, war von Mara weit und breit nichts mehr zu sehen.
Ächzend zog Mara an der Garderobe im Flur ihre Jacke aus und quälte sich aus den Schuhen. Ihr ganzer rechter Arm schien aus einem einzigen blauen Fleck zu bestehen. Der Rücken fühlte sich ganz genauso an und auch ihr Oberschenkel tat höllisch weh. Jedes Mal, wenn sie ihren Kopf zur Seite drehte, hämmerte es außerdem gegen ihre Stirn und stach im Nacken. Also versuchte sie, den Kopf möglichst ruhig zu halten, was aber gar nicht so einfach war. Denn so musste sie immer den ganzen Oberkörper mitdrehen und fühlte sich dabei wie ein Spielzeugroboter aus dem 1-Euro-Laden.
Eins war jetzt schon klar: Wenn Mara gegenüber ihrer Mutter so tun wollte, als wenn nichts wäre – und was sollte sie sonst tun –, dann stand ihr ein schmerzhafter Abend bevor. Au.
Als Mara sich und ihre blauen Flecken vorsichtig aufs Bett bugsieren wollte, fiel ihr plötzlich der Professor ein. Sie musste ihn dringend anrufen, denn bestimmt machte er sich große Sorgen, nachdem ihr Anruf so dramatisch geendet hatte. Also wuchtete sie sich noch einmal schnaufend hoch und schleppte sich ins Wohnzimmer zumTelefon. Aber war der Professor abends um 20 Uhr noch in der Uni? Ach nein, sie hatte ja seine private Handyn…
Ihr Handy! Verdammt.
Wie so oft in den letzten Tagen, passierten drei Dinge gleichzeitig: Das Telefon klingelte, die Tür öffnete sich und Mara verschwand trotz breit gefächerter Schmerzpalette in ihrem Zimmer wie ein geölter Blitz.
Direkt danach passierten nur zwei Dinge gleichzeitig: Mara biss sich in die Hand, um nicht vor Schmerzen aufzuschreien, weil »schnell bewegen« und »Schmerzen am ganzen Körper« gar nicht gut zusammengingen, und Mama trat ins Wohnzimmer und hob den Hörer ab.
Mara hörte nur die ersten Worte ihrer Mutter und wusste sofort, was passiert war:
Natürlich
hatte die Polizei ihr Handy an der U-Bahn-Station gefunden, wo
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