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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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entfernen, erscheint es immer rätselhafter, womit er seine Tage beziehungsweise die Stunden verbracht hat, in denen er nicht schrieb. Natürlich war er ein Wirtshaushocker, und dann besuchte er die Redaktionen, wie ein verbannter englischer Sir, mit zur Seite geneigtem Kopf, ergraut und elegant, stumm saß er vor dem Sekretariatstisch in den Vorzimmern der Redaktionsherrschaften. Dann ging er in die Vorstadtkaffeehäuser, saß bei den Jockeys, trank Bier, Branntwein und giftschwarzen Kaffee. Auf Frauen verschwendete er nicht viel Zeit. Er las, aber gerade nur so, als legte er eine Patience.
    Krúdy arbeitete viel, doch sein Werk, das aus alleredelsten Stoffen gefertigt war, hat ihn nicht als Pflicht beschäftigt, er schrieb wie ein Gentleman, der gerade mal Zeit hatte. Dennoch, was hat er in seinem Leben gemacht? Dieses Leben ist jetzt, durch den mysteriösen Nebelschleier seines Werkes gesehen, wie von orientalischen Geheimnissen umhüllt. Ich erinnere mich an einen Nachmittag, da wir beide stundenlang stumm im Kaffeehaus des Hotels »London« saßen; ich durchforstete die Gazetten, Krúdy bat die Toilettenfrau um eine Nagelschere und stutzte mit ernstem und bekümmertem Gesicht die Fransen der blass cremefarbig verwaschenen Manschetten seines Seidenhemdes zurück.
    LIEBE
    In der Liebe kann man sich ebenso wenig »natürlich« benehmen wie in der Kunst. Gefühl und Sehnsucht artikulieren sich nur in einer bestimmten Ausdrucksweise. Etwa durch Lächeln, Blicke, halbe Wörter, Höflichkeit. Anders funktioniert es nicht. Als machte jemand Komplimente, während er mordete.
    Die Franzosen, die Griechen, die Chinesen wissen das. Es reicht eben nicht zu lieben; man muss sich dabei auch etwas denken. Zwischen zwei Gefühlsaufwallungen muss man sich die Nase putzen; zwischen zwei »natürlichen« Regungen muss man die Grundbedingungen des menschlichen Zusammenlebens retten, den Takt, die Zivilisation. Es gehören auch eine gewisse übersinnliche Bildung und Taktgefühl dazu. Etwa so, als würde man den Hals des Opfers auf Leben und Tod würgen und dabei immerfort »Pardon« sagen.
    VERDRÄNGTER HUND
    Dieser Hund wurde als Wächter des Hauses geboren; aber keiner erwartet von ihm, dass er das Stadthaus bewacht, auf dessen Balkon er tagsüber und auch nachts haust. Das Haus wird vom Schutzmann bewacht, des Weiteren von unserem kodifizierten Gesetz, ferner vom Hausmeister, von allerlei schlauen und elektrischen Apparaturen, Klingeln, Schlössern, mit denen wir uns gegen unsere Mitmenschen schützen.
    Dennoch bewacht der Hund aufgrund der Bestimmung, die er in seinem Herzen trägt, das Haus. Steht auf dem Balkon und bellt spontan und überflüssigerweise die Passanten an. Er achtet auf jedes Geräusch, versieht seine Pflicht mit einem Kraftaufwand, als müsste er die Berechtigung seiner Existenz im Universum nachweisen, vor einer höheren Instanz, unterm Sternenhimmel, wo sowohl Hunde wie Menschen in Hütten und Häusern leben, misstrauisch und hoffnungslos. Jedes Mal, wenn ich unter dem Balkon vorbeikomme, kläfft er mich an. Ich lüfte dann meinen Hut und rufe hinauf:
    »Recht so, jawohl. Bell du nur in die Welt hinaus, überflüssigerweise, denn das ist deine Bestimmung. Ich mache es ja nicht anders.«
    TOLSTOI
    Er war noch keine vierzig, als er Krieg und Frieden geschrieben hat. Da wusste er schon alles über den Menschen, über seine Natur und sein Schicksal. Dieses Wissen war echt, übermenschlich, mit unermesslicher Informiertheit des Genies und des Künstlers wusste er alles über Junge und Alte, über den Ehrgeiz und die Liebe, über Langeweile und Heldentum. Da und dort in einem Nebensatz, in der Charakterisierung der einen oder anderen Figur war er ein besserer Psychologe als die späteren Gelehrten, die sich mit Methode dem Fach gewidmet haben. Und wahrscheinlich wusste er auch über die Sterne mindestens ebenso viel wie namhafte Himmelsforscher.
    Die Informiertheit des Schriftstellers ist unabhängig von der Person. Der Schriftsteller ist nicht »gebildet«; gebildet ist der Fachmann. Es ist mir stets verdächtig, wenn ich höre, dass ein Schriftsteller als »gebildet« gelobt wird. Als sagte man von einer Frau taktvoll: Sie liebt die Natur und auch die Musik. In solchen Fällen ist es mit dem Aussehen oder der Weiblichkeit der Frau meist nicht weit her. Der Schriftsteller ist natürlich gebildet, weil ihm der Grundstoff zu Gebote steht, aus dem die fachliche Bildung erwächst.
    Goethe ist nicht dann groß, wenn er

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