Márai, Sándor
Abenteuer. Lasst uns das Kreuz schlagen und beten.
DAS TELEFON
Noch immer durchfährt mich ein erquicklicher Schauer, sooft das Telefon bimmelt, als würde sich endlich klar und vernünftig die Stimme melden, auf die ich seit dem ersten Aufblitzen meines Bewusstseins warte – die Stimme, die es mir endlich sagt, mich fortruft, instruiert, worauf gleich alles einfacher und vernünftiger wird. Doch bisher war jede Verbindung ein Irrtum oder überflüssig. Etwas ist da noch nicht perfekt: entweder die Erfindung oder das dazugehörige Leben.
DIE VERWANDTEN
Originalität ist rar im literarischen Leben; auf der Szene tummeln sich Typen, dem Ungarischen, dem Pester aufgepfropfte deutsche, russische, französische und englische Schriftsteller, Vetterchen und Maîtres und Sirs und Herren Professoren, in Art und Stil die geheimnisvolle Verwandtschaft pflegend, die stärker ist als alle Bande des Blutes, und sie schreiben deutsche Abhandlungen, französische Lustspiele, russische Romane und englische Gesellschafts- und Kriminalgeschichten auf Ungarisch. Sie sind Verwandte, die sich gelegentlich zähneknirschend wehren gegen diese ominöse Verwandtschaft, doch können sie ihre mysteriösen Vorfahren nicht leugnen, den fremden Geist, der in ihnen einst all das zum Klingen brachte, was sie als originell und eigenständig betrachten. Was ist ihnen widerfahren? Das Übliche und Gewohnte: Die allgemeine Seuche ist bei ihnen ausgebrochen, die Weltliteratur.
DER DETEKTIV
Kriminalromane langweilen mich, weil sie es zu sehr verklausulieren. Das wahre Rätsel besteht lediglich darin: Er lebte, lebte unter Menschen und war ein Mensch, also musste er zugrunde gehen. Wozu also Fußspuren, Zigarrenasche oder das ominöse Haar? … Der pure Stoff ist gruselig genug.
CASANOVA
Wenn wir uns seine Affären genauer ansehen, aus all den Bändern, Rüschen, Masken, allerlei leiblichen und seelischen Maskeraden die pure Wirklichkeit herausschälen, werden wir feststellen, dass sein langes, an Abenteuern reiches Leben von zweit- und drittklassigen Frauenzimmern bevölkert war, für deren Dienste er auch noch reichlich gezahlt hat.
Im Grunde bestand »das große Abenteuer« aus nichts anderem, als dass er einer Frau oder deren Gemahl einen Ring, eine Equipage oder Bargeld spendierte und dafür um die hundert Pfund Fleisch erstand, samt dem damit einhergehenden Lächeln und ein paar Zärtlichkeiten. Das nötige Bare für diese Unternehmungen hat er sich meist beim Kartenspiel und auf nicht ganz saubere Weise beschafft. Verliebt war er nie, eher ein Athlet seines Fachs, ein Preisringer, Seiltänzer und Taschenspieler, immer auch der Tolpatsch des Abenteuers, ein Hasardeur voll genialer Pläne und mit Erfindungsgabe, ein kaltblütiger Gaukler, der klug und berechnend auch mitten im selbst entzündeten bengalischen Feuer steht, den Dolch, die gezinkten Karten und eine Strickleiter in der Tasche, der schließlich alles verrät und verlacht, auch das Abenteuer selbst … Sein langes Leben war randvoll mit Frauen, Kerkern, der Lustseuche, mit Genüssen, mit Unglückseligkeit. Nichts, gar nichts hat er umsonst bekommen, alles überzahlt. Die Schöne vom Lande, die sich dem toskanischen Hirten gratis hingab, von Casanova ließ sie sich mit mindestens zehn Dukaten, zwei Postkutschen und einer Reihe von Lügen erobern. In der Menschheitsgeschichte war er einer der größten Verschwender und zugleich Betrogener. Er starb verbittert, geplagt von der Podagra, den Federkiel hinterm Ohr und mit tintenbeklecksten Fingern, ausgeplündert und zitternd vor Kälte.
DIE ERINNERUNG
Denn es fing an wie ein Gedicht: in einer Nacht ,
Mit dieser stummen, tonlosen Musik –
(Weiter ging es nicht.)
AUGUST
Sie kehren zurück vom Meer, aus den Bergen, den fremden, großen Städten, wo alles so sonderbar ist, wo man zum Morgentee gebratenen Speck serviert und wo die Männer den Hut nicht abnehmen, wenn sie einen Laden betreten, wo man den Damen nicht die Hand küsst. Sie kehren aus der Welt heim und berichten begeistert und aufgeregt, packen beidhändig aus: Muscheln, in denen das Meer rauscht, die Erinnerung an die Augen einer Frau, als sie sich in Venedig an Bord eines Vaporettos umsah, einen neuartigen Kleiderbügel, wie man ihn bei uns nicht kennt. Sie schwärmen, dann seufzen sie, setzen sich zwischen die halb ausgepackte Bagage, schwatzend, atemlos, erschöpft, hilflos. Sitzen einen Augenblick lang da, mit verträumtem Gesicht, die Augen strahlend von
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