Márai, Sándor
die Backfische nach ihm um und sagten seinen Namen.
Traurig war er, leidenschaftlich und beleidigt. Er hatte nur eine Liebe: die ungarische Sprache. Als einziges Phänomen verehrte er die Buchstaben. Eines Nachmittags hatte er in der Redaktion einen Zornausbruch, zerriss den Artikel eines unserer Kollegen, warf die Papierfetzen auf den Boden und spuckte drauf.
»Was war damit?«, fragte ich später.
»Er kann nicht schreiben«, sagte er bleich und außer Atem. »Schreibt mit der Klaue, wie ein Schwein.«
Da sah ich zu ihm auf und hatte etwas verstanden. Verstehe es von Tag zu Tag besser.
DAS VERLORENE PARADIES
Er reiste für ein paar Tage nach Hause in seine Heimatstadt und kehrte völlig verzweifelt zurück. Auf meine Fragen konnte er nicht antworten. Hatte man ihm zu Hause etwas angetan? Man hat ihm nichts getan. Ist jemand gestorben? Nein, niemand ist gestorben. Wurde etwa ein bedeutendes Gebäude abgerissen? Nein, alles stand an seinem Platz.
Er konnte keine Auskunft geben, lief mit verschleiertem Blick herum, antwortete mit leidender Stimme. Führte sich auf, als hätte man ihn unterwegs bestohlen. Sagte nicht: »Es fehlt etwas«, lamentierte nicht, war nur heimatlos und verzweifelt. Etwas hat in seiner Geburtsstadt gefehlt, und vergeblich haben wir versucht, die Scherben der Erinnerung und der Reise zusammenzufügen. Irgendetwas daheim war zerbrochen, gestorben. Irgendjemand war in dem Paradies gewesen, ein Fremder. Er sagte, er wolle nicht mehr nach Hause, nie mehr.
Ich konnte ihn nicht trösten, denn das Zuhause, die Heimat, gibt es nur einmal; und wenn sie verloren geht, kann man sie nicht ersetzen. Ich lud ihn nach Paris ein, ans Meer; aber er schüttelte den Kopf, ernst und empört. Auch beim Mittagessen saß er mit geschlossenen Augen und von der Stuhllehne herabhängenden Armen, wie Milton, wenn er diktiert.
RACHE
Für einen Schriftsteller ist das weltliche Leben fast so unerträglich wie das literarische Leben. Überall Fallen, Dolche, Stolperdrähte. Die Welt um ihn strotzt vor Renitenz. Man will ihn morden, niedertreten, mundtot machen: Berufskollegen ebenso wie die weltlichen Mächte.
Doch der Schriftsteller rächt sich, und gegen seine Rache sind sie machtlos. Der Schriftsteller kann nicht hingehen und erklären, so oder so, denn dann macht er sich lächerlich und ist gescheitert. Dennoch – seine Rache ist nicht abzuwehren. Worin besteht die Rache, diese einzig mögliche Rache? Sie liegt darin, dass er daheim oder in einer Gefängniszelle oder in einem Kaffeehaus sitzt und schreibt.
BYRON
Byron hatte in der Tat etwas Byronhaftes; und so etwas trifft äußerst selten zusammen.
BILANZ
Möglich, dass ich bis zum Morgen gestorben bin. Im angenommen »letzten Augenblick« ziehe ich schnell noch Bilanz.
Soll:
Ich bin geflogen.
Habe telefoniert.
Hörte Radio.
Habe Lindbergh am Flugfeld nahe Paris ankommen sehen.
Bin zeitig genug geboren, um die Werke von Rilke, Krúdy, Proust druckfrisch zu lesen.
War Augenzeuge, als die Vernunft – erschreckend langsam – über die Dummheit und die Instinkte den Sieg davontrug.
Zu meiner Zeit wurden die lokale und die allgemeine Anästhesie erfunden, das Insulin und die Impfung gegen die Tollwut entdeckt. Während ich lebte, hat man mehr Menschen mit Gas, Waffen und am Galgen gemordet als in den vorausgegangenen hundert Jahren zusammen.
Haben:
Ich war Zeitgenosse, ohnmächtiger und schuldhaft schweigender, zustimmender, ja partizipierender Zeitgenosse all jener Schriftsteller, Schauspieler, Regisseure und Agenten, die die künstlerischen Ansprüche der Menschen korrumpiert haben.
Zu meiner Zeit starben langsam Frauen und Männer der zivilisierten Welt aus. An ihrer Stelle begannen Girls, Gecken und Liebhaber lauthals eine Rolle zu spielen.
Im »Jahrhundert des Fliegens« bin ich insgesamt nur fünfmal geflogen; weil mir für mehr das Geld fehlte.
Ich erlebte, dass die Schreibkundigen – für auffallend wenig Geld – den Geist verraten haben.
Ich lebte in der Zeit, da der Schuster sehr wohl seine Leisten verlassen hat.
Auch habe ich das Zeitalter der bezahlten literarischen Statements erlebt.
Bilanz:
Es hat sich gelohnt zu leben.
Es wird merkwürdig sein zu sterben.
ENGLISCH
Nach zehn, fünfzehn Jahren fleißigen und aufmerksamen Lernens versteht man endlich, dass Englisch leider nicht zu erlernen ist.
DAS ZEITGEMÄSSE
In großen Werken fehlt alles Zeitbezogene. Es fehlt auch dann, wenn der Dichter oder Schriftsteller eine der
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