Márai, Sándor
schlaftrunken verträumt. Hat einen kleinen Glorienschein um den Kopf; malen würde ich sie mit Schafen rundum und einer Blume in der Hand. Der Bräutigam ist fünfzig und Witwer.
»Was lieben Sie denn an ihm?«, will ich von Greti wissen.
Sie blickt zum Himmel auf, schürzt ihre Lippen, sie schielt. Im Halbschlaf, ein wenig träumerisch, sagt sie:
»Er ist Koch.«
BEGABUNG
Z. streitet sich mit jedem. Ist immer »im Recht«. Er ist eine Begabung.
Aber große Begabungen – nämlich die »wirklichen« – sind ausgeglichen. Die gleichgültige Masse, dünkelhafte Kunstkenner, aufgeblasene Kritiker, unbegabte Partner, stümperhafte Rivalen gibt es immer, zu jeder Zeit. Eine wahre Begabung hat das alles in sich aufgelöst. Dieser andere, der »nur« eine Begabung ist, vermag es nicht, die Welt zu sublimieren. Er zieht es vor zu streiten.
EIN GESICHT
Ja, dein Gesicht ist mir bekannt, ich liebe dich. Es strahlt diese süße, schmachtende, lasterhafte Anziehung aus, der ich nie widerstehen konnte. Du gefällst mir, ich kapituliere. Aber ich mache dich darauf aufmerksam, diese Anziehung, diese Liebe wird genau vierundzwanzig Stunden dauern. Das Erwachen, das auf den ersten Traum folgt, wird dein Gesicht aus meiner Erinnerung verjagen wie der Sonnenschein den Morgennebel. Süßes Gesicht, du bist aus Nebel. Während ich über dich rede, sehe ich dich nur noch verschwommen. Wenn ich an den Schluss dieses Satzes den Punkt setze, stelle ich traurig und erleichtert fest, dass ich dich gar nicht mehr sehe.
EIN NOMADE
Er besitzt einen Regenschirm, Überschuhe, Telefon, hat einen Stammtisch; und dennoch, wie er mit blauen Augen durch das Kaffeehausfenster die Welt betrachtet, hat sein Ausdruck etwas vom Blick der Nomaden: Als spähte er immerfort in die Wolken oder stellte die Windrichtung fest, um das Wild in der Dämmerung zu orten; an der Straßenbahnhaltestelle und auch auf Frauen schaut er mit so schläfriger Gleichgültigkeit und voller Arroganz, als kauere eine vom Planwagen geraubte Georgierin in seinem Zelt. Ein Nomade. Auch ins Taxi steigt er, als wollte er sich in den Sattel schwingen.
MUSIK BEI TAG
Stehen bleiben auf der Straße unter vom Regen zerzaustem Laub, vor halb offenem Fenster. Hinter den Vorhängen spielt jemand Klavier. Eben läuten die Mittagsglocken.
Oder im Schwimmbad aufblicken aus dem Wasser, wenn am Beckenrand Radiomusik erklingt.
Musik bei Tage setzt sich scharf ab von den Geräuschen der Straße und erinnert an einen Feiertag, den ewigen Feiertag, an den wahren Gehalt des Lebens, dieses Strahlen und Feenhafte, das von den Abscheulichkeiten des Lebens zugedeckt wird.
Ich werde dann immer blass, mich fröstelt, und ich muss mich abwenden von den Menschen, um meine Scham zu verbergen.
EIN SPANIER
Im Zug ein braun gebrannter, älterer ungarischer Herr. Sehr zurückhaltend. Still, diszipliniert. Ich betrachte ihn und denke: ein glücklicher Mensch!
Hinter Wien fällt mir auf, dass er gar nicht so glücklich ist. Er raucht nikotinarme Zigaretten, stopft mit unbeschreiblicher Akribie rauchfilternde Watte in die Zigarettenspitze. Am Hals hat er eine tiefe Narbe. Aus seiner Tasche kramt er ein spanisches Buch hervor: Cuontes Españoles , eine Sammlung von Erzählungen moderner spanischer Autoren. Mit der Brille auf der Nase vertieft er sich in sein Buch.
Hinter Linz kommen wir ins Gespräch. Er hat nur so unterwegs Spanisch gelernt, sagt er bescheiden, nebenbei, zum eigenen Spaß. Ein kluger, starker Mann. Kennt sich aus in der Literatur. Sagt Dinge wie: »Gárdonyi* hat seine Verleger mit Bedacht ausgesucht.« Lope de Vega war ein Stückeproduzent, sagt er, Blasco Ibanez ist ein Schreiberling und Unamuno ein Windbeutel; Ortega y Gasset lobt er.
Er lebt auf dem Land. Wirtschaftet. Übersetzt auch selbst aus dem Spanischen, gesteht er verschämt; und selbstverständlich auch das »nur so«, nebenbei, »zu seinem Vergnügen«. (Oh, diese Kunstliebhaber, für die alles »Vergnügen« ist. Als würde jemand sagen: »Ich habe mich pfählen lassen, nur so, zu meinem Vergnügen.«) Ein blendend vernünftiger Mensch: Ihn reizen spanische Schriftsteller genauso wie die Weizenpuppen auf den österreichischen Kornfeldern. Wir sprechen über die Rübenernte und Proust. Wie eng die Weizenpuppen stehen! – bemerkt er. Und »Wie ist doch gleich der Titel von Robert Musils letztem Buch?«
Eigenartiger Mensch. Er ist mir sympathisch. Insgeheim Spanier.
GEFÄNGNIS
In der Nachbarschaft des ländlichen
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