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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Büro?“
    „Irgendwo muß man ja auf sein
Glück warten. Zu diesem Zweck hab ich ein Büro gemietet. Meistens schlafe ich
dort. Flier gegenüber. Nur über die Straße. Dort sind wir ganz unter uns, in
Grabesstille.“
    Ich nahm wieder ihren Arm. Sie
nickte langsam, ließ sich dann widerstandslos von mir führen.
    Wir gingen schweigend die
Treppe hinauf. Zumindest was die Beine anging, hatte ich mich nicht getäuscht:
sie waren sehr schön.
    Als sie im zweiten Stock an
meiner Tür das Schild mit meinem Beruf sah, zuckte sie zusammen und wich
zurück.
    „Poli... Sie sind Polizist?“
    „Privatdetektiv. Hat nicht viel
zu sagen. Sie brauchen keine Angst zu haben.“ Ich ließ ihr den Vortritt. Als
sie die Agentur Fiat Lux betrat, murmelte sie undeutlich einen Satz. Ein Gebet
vielleicht. Heutzutage lauert die Religion an den unmöglichsten Orten, manchmal
sogar in Teufels Küche.
    Als Hélène sah, was ich von
meinem Kneipenbummel mitbrachte, riß sie die Augen zur Größe einer normalen
Untertasse auf — einer nicht-fliegenden.
    „Ich bin für niemand zu
sprechen“, gab ich Anweisung.
    Dann bat ich das geheimnisvolle
blonde Kind in mein Allerheiligstes. Sogleich erfüllte sie es mit ihrem
betörenden Parfüm.
    „Setzen Sie sich“, sagte ich
und schloß die Polstertür.
    Mit leerem Blick ließ sie sich
in den erstbesten Sessel fallen, ohne der Umgebung die geringste Aufmerksamkeit
zu schenken. Dabei hing hinter Glas ein hübsches Ulk-Diplom an der Wand, das
ihre Aufmerksamkeit verdient hätte: links von meinem Namen, der, eingerahmt von
kunstvollen Verzierungen, in schöner Rundschrift aufgemalt war, löste ein Herr
im Jackett gerade ein Problem oder dachte ans Finanzamt, kurz, er war ziemlich
übel dran, nach seinem Gesicht zu urteilen. Rechts stand eine nackte Frau mit
Haaren bis auf den etwas zu großen Fuß.
    Der Teufel allein mochte
wissen, wo sie gerade war. Ich sprech jetzt wieder von der Blonden. Vielleicht
bei Cabirol. Ich sah ihn wieder steif und kalt vor mir unter seinen Regalen,
die angefüllt waren mit billigem Kram, armseligen, erbärmlichen Gegenständen.
Darunter sogar ein Plüschbär, den er dem Kind einer armen Kirchenmaus aus den
Armen gerissen hatte.
    Ich murmelte etwas vor mich hin
und ging zu ihr, um sie einer schnellen Prüfung zu unterziehen. Sie war
allerhöchstens zweiundzwanzig. Sehr hübsch, sehr gut gebaut. Ob sitzend,
stehend oder liegend, es lohnte sich, sich näher mit ihr zu beschäftigen.
Entschieden sensationeller, als ich neulich beim ersten Zusammentreffen gedacht
hatte.
    „Ich bin heute etwas besser in
Form als vorgestern“, sagte ich. „Dafür scheint’s bei Ihnen nicht so gut zu
klappen. Eine kleine Erfrischung? Ich glaub, Sie haben eine nötig.“
    Keine Antwort. Nur ein
flüchtiges Kopfnicken, vielleicht unbewußt. Ich verstand es einfach als
Zustimmung. Aus dem Nebenzimmer holte ich die Requisiten meines seßhaften
Trinkerdaseins. Sie bewegte sich nicht vom Fleck. Ich schenkte ein.
    „Sollen wir uns denn mal
bekanntmachen?“ schlug ich vor. „Ich bin Nestor Burma. Mein Name steht auf dem
Schild an der Tür. Und Sie?“
    „Odette Larchaut“, sagte sie
nach kurzem Zögern.
    „Im Ernst?“
    Sie hob die Schultern:
    „Mir ist nicht zum Scherzen
zumute.“
    „Hier, trinken Sie das.“
    Ich reichte ihr ein Glas. Sie
legte Tasche und Päckchen auf den Schoß und nahm das Glas. Ihre behandschuhten
Hände zitterten ein wenig. Ich beugte mich vor und griff nach der Tasche. Dabei
fiel das Päckchen auf den Boden. Die blonde Odette protestierte schwach und
wurde noch zappliger, ließ das Päckchen aber liegen. Der Inhalt des Glases war
schon zur Hälfte verschüttet. Sie kippte den gefährdeten Rest in einem Zug
hinunter. Ich untersuchte die Tasche, ohne von ihr daran gehindert zu werden.
    Die üblichen Utensilien:
Lippenstift, Puderdose, Parfümfläschchen, Taschentuch usw.
    Dann zog ich einen
Briefumschlag hervor und las laut die Anschrift:
    „Madame
Ernestine Jacquier, Rue de Thorigny... Ein
Glück, daß Sie keine Scherze machen“, bemerkte ich.
    „Das ist meine Mutter“, sagte
sie.
    „Wiederverheiratet? „
    „Witwe in zweiter Ehe.“
    „Schnüffeln Sie in ihrer Post?“
    „Ich brauchte etwas, um mir was
zu notieren... hab genommen, was gerade da lag.“
    Der Umschlag war leer. Die
Rückseite trug den Dienststempel des Absenders: Maître Dianoux, Notar,
Boulevard des Filles-du-Calvaire. Daneben mit Bleistift der Name einer Modezeitschrift
und ein

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