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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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das sollte nichts
heißen. Die Künstler waren vor Freitag, dem 14. April, 11 Uhr morgens, nicht zu
sprechen.
    Punkt Viertel nach elf machte ich
bei Miss Pearl meine Aufwartung.
    Sie strafte das Bild nicht
Lügen, das mir die Schlafmütze gezeigt hatte. Ein großes, gutgewachsenes
Mädchen, nordischer Typ, geschmeidig wie eine Katze. Strahlend blaue Augen
blickten mich verträumt aus einem hübschen Gesicht an. Die auffallend
platinblonden Haare sollte man sich vielleicht besser nur im Scheinwerferlicht
ansehen. Beim Dekolleté war das anders. Der Morgenmantel mit ihrem Monogramm
ließ keinen Fingerbreit Haut sehen. Darunter aber trug sie bestimmt nur einen
Slip, und auch das war nicht sicher. Wenn ich die Wahl zwischen ihr und Madame
Jacquier gehabt hätte, hätte ich nicht lange gezögert. Aber ich war nicht hier,
um das Verhalten des flatterhaften Ehemanns zu entschuldigen.
    Miss Pearl bewohnte ein
geräumiges, komfortables Zimmer ohne jede persönliche Note, wie alle
Hotelzimmer. Zwei große Koffer standen im Weg, einer geöffnet und halb
ausgepackt. Sie war nicht alleine. Ein kräftiger Kerl von ein Meter achtzig
(ohne Schuhe!) war noch im Zimmer. Nicht Jacquier. Der hier hatte einen
Bürstenhaarschnitt, ein grobschlächtiges Gesicht und ein eckiges Kinn. Auch er
hatte sich in einen Morgenmantel gewickelt, eine Art Arbeitskittel, der eher
für einen Boxer gemacht schien. Auf dem Rücken stand der Name des Eigentümers:
Mario. Ich konnte die Schrift in dem Spiegelschrank lesen, vor dem Mario stand,
als wollte er einen Vergleichskampf antreten.
    „Entschuldigung Sie die
Unordnung“, sagte Miss Pearl nach einer kurzen Begrüßung. Ihre
Aufräumungsversuche verschlimmerten nur noch das Chaos. „Wir sind sozusagen
gerade angekommen. Wir haben für ein paar Tage in Fontainebleau Urlaub gemacht.
Sehr hübsch, Fontainebleau.“
    Sie hieß wohl eher Fräulein
Ingeborg als Miss Pearl, nach ihrem starken deutschen Akzent zu urteilen. Aber
Miss Pearl kam vielleicht besser an.
    „Sehr“, nickte ich zustimmend.
    „Setzen Sie sich doch.“
    Sie ging mit gutem Beispiel
voran und setzte sich aufs ungemachte Bett. Mit einem liebenswürdigen Lächeln
schob Mario mir einen Stuhl hin. Ich setzte mich.
    „Was möchten Sie wissen?“
fragte die Trapezkünstlerin.
    „Ich würde Ihnen gern ein paar
Fragen stellen.“
    „Bitte.“
    „Ich möchte mit Miss Pearl
sprechen“, wandte ich mich an den Muskelprotz.
    „Nur zu, mein Lieber“,
ermunterte er mich herzlich. „Ich bin an die blöden Fragen gewöhnt, die die
Journalisten meiner Frau stellen.“
    „Eben. Um in Ihr Zimmer zu
kommen, hab ich unten erzählt, ich wär Journalist. Stimmt aber nicht.“
    Er runzelte die Stirn.
    „Und was sind Sie dann?“
    Ich zeigte ihm meinen Ausweis:
    „Privatdetektiv. Sie haben
sicher viel erlebt, lassen sich also von einem Fetzen Papier mit Stempel sicher
nicht beeindrucken. Ich weiß. Sie können mich rausschmeißen, wenn Sie wollen.
Ich kann Sie nicht daran hindern. Ich bin alleine, und Sie zählen für zwei von
meiner Sorte. Aber ich rede zu Ihnen von Mann zu Mann, ohne Scherz. Es ist
besser für alle Beteiligten, wenn ich Miss Pearl meine Fragen unter vier Augen
stellen kann.“
    Er fing an zu lachen. Lauthals.
Er riß den Mund weit auf. Ich sah kerngesunde Zähne strahlen. Aber die dunklen
Augen fixierten mich hart.
    „Sagten Sie: ohne Scherz? Ja,
Scheiße. Möchte wissen, was sie da gerade gemacht haben?“
    „Wenn ich eines Tages mal einen
Scherz machen muß, werden Sie den Unterschied schon sehen. Ich arbeite eben
auch ohne Netz.“
    „Das ist doch
Zeitungschinesisch. Sind Sie sicher, daß Sie nicht doch Journalist sind?“
    Jetzt fing ich an zu lachen.
    „Ganz sicher. Kann ich denn
jetzt mit Miss Pearl reden?“
    „Unter vier Augen?“
    „Am liebsten.“
    Er stand an den Schrank
gelehnt. Seine rechte Hand zerknüllte Papier. In der Tasche seines
Morgenmantels klimperte Kleingeld. Unnachgiebig schüttelte er langsam den
kantigen Kopf:
    „Nein, Freundchen!“
    „Ich muß von Dingen sprechen,
die Ihnen nicht gefallen werden.“
    „Macht nichts.“
    Ich wandte mich an die Frau:
    „Ich versuche immer, meine
Arbeit so anständig wie möglich zu machen. Scherereien vermeiden und den ganzen
Kram. Wenn hinterher der Haussegen schiefhängt, dann ist das sein Bier.“
    Sie sah mich lange an,
eindringlich und neugierig. Ich hatte vergessen, daß sie keine Französin war.
Vielleicht kapierte sie nur wenig von meinem Kauderwelsch.

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