Marais-Fieber
Dann eben nicht.
Übersetzen wollte ich’s nicht.
„Na gut“, fuhr ich fort. „Es
geht um Jacquier. Paul Jacquier.“
„Ja, ja“, sagte Miss Pearl
leise.
„Jacquier? ... Hm...“ spuckte
Mario.
Um ganz sicher zu gehen, hielt
ich der Frau das Foto vor die Nase.
„Ja, ja“, flüsterte sie wieder.
Ich gab es auch Mario.
„Stecken Sie die Visage wieder
ein“, fauchte er wütend. „Die hab ich oft genug gesehen.“
„Sehen Sie? Ich hatte doch
recht. Hab Sie vorher gewarnt, daß Ihnen das nicht gefallen wird.“
Er knurrte:
„Ja, Sie hatten recht. Und
nun?“
„Letzten November sprang der um
Miss Pearl herum, stimmt’s? Entschuldigen Sie bitte, aber ich tu nur meine
Arbeit.“
„Und worin besteht Ihre Arbeit,
wenn man fragen darf? Wir sind Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Unsere
Bettgeschichten gehen keinen was an...“
Er hob die muskulösen
Schultern:
„...Sie müssen auch entschuldigen.
Ich reg mich für nichts und wieder nichts auf. Ist doch alles aus und vorbei.“
„Ich habe den Auftrag, nach
Jacquier zu suchen.“
„Tut mir leid, mein Lieber! Hab
ihn nicht bei mir.“
Er klopfte sich auf die
Taschen. Das Geld klimperte wieder.
„Scheint so, als sei er mit
Ihnen fortgegangen... na ja... äh...“
„Ja, ja, versteh schon“, lachte
er. „Natürlich nicht mit mir. Hätte auch noch gefehlt!“
Sofort wurde er wieder ernst:
„Er ist uns tatsächlich
gefolgt. Unterwegs haben wir ihn dann aus den Augen verloren.“
„Wo genau? Seine Frau braucht
ihn.“
„Hätte besser drauf aufpassen
sollen.“
„Kann sein. Darum geht’s jetzt
nicht. Er ist also nicht mit Ihnen zurückgekommen?“
„Sonst noch was? Ist mir mehr
als einen Monat zwischen den Beinen rumgelaufen... (Er lachte)... äh... sagt
man so... Ich glaub, das genügt, hm? Als ich merkte, daß er in dunkle Geschäfte
verwickelt war, hab ich ihn sofort rausgeschmissen.“
„Wo war das?“
„In London... Hören Sie, mein
Lieber. Ich bin Kumpel. Seien Sie’s auch. Sie hatten recht. Das Thema
begeistert mich nicht gerade. Werd Ihnen erzählen, was ich weiß, aber dann gehn
Sie mir damit nicht mehr auf den Wecker, klar? Für sie ist das auch nicht
angenehm.“
Er zeigte auf die
Trapezkünstlerin. Schien sich tatsächlich nicht wohlzufühlen.
Ich entschuldigte mich.
„Schon gut“, winkte Mario ab.
„Sie müssen sich ja auch Ihre Brötchen verdienen... Dieser Jacquier ist uns
erst nach London gefolgt, dann nach Brüssel und wieder nach London. Von da an
kamen mir Zweifel. Wie Sie sehen, hab ich lange dafür gebraucht. Und dann ist
uns der Kragen geplatzt. So war das, mein Lieber. Ich weiß nicht, ob er in
London geblieben ist oder sonstwo.“
„Wo hat er in London gewohnt?“
„Weiß ich nicht.“
Ich sah der Deutschen so tief
wie möglich in die blauen Augen.
„Äh... Haben Sie sich irgendwo
mit ihm getroffen?“ Bevor sie antworten konnte, lachte der Kraftprotz los:
„Bei Rita Brown, in Soho... Bin
ihr einmal nachgegangen. Rita Brown, ein Stundenhotel, 75 Lawrence Ford Street,
Soho... Scheiße! Die Adresse werd ich so bald nicht vergessen.“
„Sehr gut“, sagte ich. „Werd’s
mir auf jeden Fall notieren.“ Nachdem ich mir den Fall notiert hatte, stand ich
auf. „Entschuldigung, nochmal. Auf Wiedersehen, Monsieur. Alles klar?“
„Alles klar.“
Er reichte mir seine große,
starke Hand. Meine verschwand fast vollständig darin. Ich lächelte:
„Sie haben ihn also in London
gelassen, stimmt’s?“
„In London, jawohl.“
„Sind Sie sicher, daß er nicht
in der Themse liegt?“
„Also, hören Sie mal...“
Er brach wieder in lautes
Gelächter aus.
„...Ach! Scheiße! ...“
Er kam wieder zu sich.
„...Nein, nicht in der Themse.
Da bin ich ganz sicher.“
„Um so besser. Auf
Wiedersehen.“
„Salut.“
„Guten Tag, Miss Pearl. Tut mir
schrecklich leid...“
„Macht nichts. Sie brauchen
sich nicht zu entschuldigen.“ Ihr Akzent war jetzt noch stärker. Sie lächelte
schwach. In ihren Augen sah ich Angst. Sie gab mir die Hand. Zusammen mit einem
Stück Papier.
Weit weg von La Piste und den
dazugehörenden Leuten sah ich’s mir an: eine Freikarte für eine
Zirkusvorstellung.
Miss Pearl hatte mir
irgendetwas mitzuteilen. Sie forderte mich hiermit auf, zu ihr in den Zirkus zu
kommen. Vielleicht konnte sie in einer freien Minute mit mir reden — ohne
Partner.
* * *
Der Zirkus war voller
fröhlicher Menschen, lärmend und guter Dinge. Ich hatte Hélène
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