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Marc Levy

Marc Levy

Titel: Marc Levy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Solange du da bist
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auseinander.

    Mein Arthur,

    Nun bist du also in Deinem Haus angekommen. Die Zeit heilt alle Wunden, wenn sie uns auch die Narben nicht immer erspart. In diesem Koffer findest Du alle meine Erinnerungen, die an Dich, die an die Zeit, bevor Du kamst, und alles, was ich Dir nicht erzählen konnte, weil Du noch ein Kind warst. Du wirst Deine Mutter mit anderen Augen neu entdecken, und du wirst dabei viele Dinge erfahren. Ich war Deine Mama, und ich war eine Frau mit ihren Ängsten, Zweifeln, Niederlagen, ihrer Reue und ihren Siegen. Um Dir all die Ratschläge geben zu können, mit denen ich Dich überhäuft habe, musste ich mich bisweilen auch irren, und das ist nicht selten vorgekommen.
    Eltern sind wie Gebirge, die wir ein Leben lang zu erklimmen versuchen, und dabei vergessen wir, dass wir selber einmal ihre Rolle einnehmen werden.
    Weißt Du, nichts ist komplexer, als ein Kind aufzuziehen.
    Man verbringt sein Leben damit, alles zu geben, was man für richtig hält, und weiß doch genau, dass man sich pausenlos irrt. Aber bei den meisten Eltern geschieht es aus Liebe, wenn auch nicht immer ganz ohne Eigennutz. Außerdem sind wir alle keine Engel. An dem Tag, an dem ich diesen kleinen Koffer schloss, fürchtete ich auch, Dich zu enttäuschen. Ich habe Dir keine Zeit gelassen, mich als Erwachsener zu beurteilen. Ich weiß nicht, wie alt Du sein wirst, wenn Du diesen Brief liest.
    Ich stelle Dich mir als einen hübschen jungen Mann von etwa dreißig Jahren vor, oder vielleicht ein bißchen älter. Gott, wie 156
    gerne hätte ich all diese Jahre an Deiner Seite verbracht.
    Wenn Du wüsstest, welch schmerzliche Leere sich in mir ausbreitet, wenn ich daran denke, dass ich Dich nicht mehr sehen werde, wenn Du morgens die, Augen aufschlägst, Deine Stimme nicht mehr hören werde, wenn Du nach mir rufst.
    Dieser Gedanke tut mir mehr weh als die Krankheit, die mich so weit von Dir fortträgt.
    Ich habe Antoine immer geliebt, aber ich habe diese Liebe nicht gelebt. Weil ich Angst hatte. Angst vor Deinem Vater, Angst, ihm weh zu tun, Angst zu zerstören, was ich mir aufgebaut hatte, Angst, mir einzugestehen, dass ich mich getäuscht hatte. Ich hatte Angst um die bestehende Ordnung, Angst vor einem Neuanfang, Angst, dass es nicht gut gehen würde, dass alles nur ein Traum wäre. Und diese Liebe nicht zu leben war ein Alptraum. Tag und Nacht dachte ich an ihn und verbot es mir zugleich. Als Dein Vater tot war, wurde die Angst nicht geringer, nun war es die Angst vor dem Verrat, die Angst um Dich. All das war eine riesengroße Lüge. Antoine hat mich geliebt, wie jede Frau es sich nur wünschen kann, geliebt zu werden. Doch ich habe es nicht verstanden, seine Liebe zu erwidern, ich war zu feige dazu. Ich entschuldigte meine Schwäche, ich gefiel mir in diesem billigen Melodram und erkannte nicht, dass mein Leben wie im Fluge verging und dabei an mir vorbeiging. Dein Vater war ein guter Mann, aber Antoine war einzigartig in meinen Augen, niemand sah mich so an wie er, niemand sprach so mit mir wie er; wenn er bei mir war, konnte mir nichts passieren, ich fühlte mich völlig geborgen. Jeden Wunsch las er mir von den Lippen ab und ruhte nicht eher, als bis er ihn erfüllt hatte. Sein ganzes Leben gründete sich auf Harmonie, auf Sanftheit, und er verstand zu geben -während ich den Kampf suchte, um mein Leben zu rechtfertigen, und unfähig war, zu nehmen. Ich hatte panische Angst, ich zwang mich zu glauben, dass es solch ein Glück nicht geben, dass das Leben nicht so schön und einfach sein 157
    konnte. Wir haben uns ein einziges Mal geliebt, da warst Du fünf Jahre alt. Ich wurde schwanger, doch ich behielt das Kind nicht; ich habe es ihm nie gesagt, aber ich bin sicher, dass er es wusste. Nichts, was mich betraf, ist ihm je verborgen geblieben.
    Heute, da ich weiß, was mit mir geschieht, scheint es so vielleicht besser gewesen zu sein; aber ich denke auch, dass ich vielleicht nicht krank geworden wäre, wenn ich mit mir selbst im reinen gewesen wäre. Wir haben all diese Jahre im Schatten meiner Lügen verbracht, ich habe dem Leben etwas vorgemacht, das hat es mir nicht verziehen. Jetzt weißt Du schon mehr über Deine Mutter; ich habe lange gezögert, Dir das alles zu sagen, und wieder, weil ich mich vor Deinem Urteil fürchtete. Aber habe ich Dir nicht beigebracht, dass die schlimmste Art zu lügen jene ist, wenn man sich selbst belügt?
    Es gibt so viele Dinge, die ich gerne mit Dir geteilt hätte, doch wir hatten keine Zeit

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