Marco Polo der Besessene 2
aufmerksam von dir. Aber komm, wir werden gemeinsam die freie Zeit genießen.«
Die Mongolen - die beiden Vorausreiter sowie meine Eskorte ritten voran, und Ali und ich ritten Seite an Seite hinter ihnen
her. Wir wandten uns nunmehr genauer nach Norden als bisher, denn Xan-du liegt hoch oben in den Dama-qing-Bergen, ein beträchtliches Stück direkt nördlich von Khanbalik. Ali tastete unter seiner bestickten aba herum und zog ein gefaltetes und versiegeltes Papier hervor, das außen in lateinischen Buchstaben, aber auch auf arabisch und mongolisch sowie in den Schriftzeichen der Han meinen Namen trug.
»Irgend jemand wollte absolut sichergehen, daß ich dies bekomme«, brummte ich. »Von wem kommt es?«
»Das weiß ich nicht, ehemaliger Herr.«
»Wir sind jetzt beide freie Männer und damit ebenbürtig, Ali. Warum nennst du mich nicht Marco?«
»Wie du willst, Marco. Die Dame, die mir diesen Brief übergab, war dicht verschleiert und ist heimlich und im Dunkel der Nacht an mich herangetreten. Da sie kein Wort gesprochen hat, habe ich das auch nicht getan, denn ich nahm an, daß sie wohl eine - ahem -, irgendeine heimliche Freundin von dir sein müsse, vielleicht sogar die Gattin von jemand anders. Ich bin weit diskreter und weniger neugierig, als ich es früher vielleicht war.«
»Aber du hast immer noch deine dreckige Phantasie. Ich habe mich bei Hofe mitnichten auf so etwas eingelassen. Trotzdem, vielen Dank.« Ich steckte das Papier fort in der Absicht, es heute abend durchzulesen. »Aber jetzt zu dir, alter Gefährte. Wie geht es dir? Wie gut du aussiehst.«
»Ja«, sagte er und reckte sich geziert. »Meine gute Frau Mar-Janah besteht darauf, daß ich mich kleide und betrage wie der wohlhabende Unternehmer und Arbeitgeber, der ich geworden bin.«
»Was du nicht sagst? Unternehmer von was? Und Arbeitgeber von wem?«
»Erinnerst du dich noch an die persische Stadt Kashan, Marco?«
»Aber ja doch. Die Stadt der wunderschönen Knaben! Aber Mar-Janah hat doch nicht etwa zugelassen, daß du ein Männerbordell aufmachtest!?«
Er seufzte auf und machte ein bekümmertes Gesicht. »Kashan ist aber auch berühmt wegen seiner besonderen Kashi-Kacheln, wie du dich gewiß erinnerst.«
»Durchaus. Ich erinnere mich, daß mein Vater sich für den Fertigungsprozeß interessierte.«
»Richtig. Er dachte, hier in Kithai könnte es einen Markt für solch ein Produkt geben. Und hatte recht damit. Er und dein Onkel Mafìo haben das Kapital für die Gründung einer Werkstatt aufgebracht und geholfen, einer Reihe von Handwerkern die Kunst der Kashi-Herstellung beizubringen; die Leitung des gesamten Unternehmens haben sie Mar-Janah und mir übertragen. Sie entwirft die Muster für die Kacheln und sorgt in der Werkstatt für Ordnung, während ich den Verkauf übernommen habe. Dabei sind wir sehr gut gefahren, wenn ich das so sagen darf. Die Kashi-Kacheln sind als Zier für die Häuser der Reichen überaus gefragt. Selbst nach Auszahlung der deinem Vater und Onkel zustehenden Beteiligung am Gewinn bleibt Mar-Janah und mir immer noch soviel, daß wir uns wohlhabend nennen können. Dabei sind wir immer noch dabei, unser Gewerbe zu lernen - sie und ich und unsere Handwerker -, aber wir verdienen auch bereits, jawohl, haben mittlerweile soviel verdient, daß ich es mir durchaus leisten kann, mir eine Zeitlang freizunehmen, um diese Reise gemeinsam mit dir zu machen.«
So plapperte er fröhlich den ganzen Rest des Tages über und berichtete mir bis ins einzelne gehend von dem Geschäft der Herstellung und des Verkaufs von Kacheln -was ich nicht in jedem Falle hochinteressant fand -und flocht zwischendurch andere Nachrichten über das Leben in Khanbalik ein. Er und die schöne Mar-Janah seien restlos glücklich. Meinen Vater habe er schon eine ganze Zeit lang nicht gesehen; der ältere der beiden Polo sei gleichfalls in irgendwelchen Geschäften unterwegs, doch meinen Onkel habe er ab und zu in der Stadt gesehen. Die schöne Mar-Janah sei schöner denn je. Der Wali Achmad übe während der Abwesenheit des Khans die Vizeregentschaft aus und halte die Zügel der Regierung in Händen. Die schöne Mar-Janah sei in ihren Ali Babar immer noch genauso verliebt wie er in sie. Viele Höflinge hätten Khan Kubilai nach Xan-du begleitet, darunter eine ganze Reihe von Leuten, die ich kennte: der Wang Chingkim, der Feuerwerksmeister Shi und der Goldschmied Boucher. Die schöne Mar-Janah sei gleich ihm, Ali, der Meinung, daß die Zeit, die sie
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