Marco Polo der Besessene 2
Ahnung vom Mongolischen, denn sie hob nie auch nur ein einziges Mal die Augen. Schließlich vernahm ich nochmals ein Kratzen an der Tür, und stolz trat ihre Herrin ein. Erfreut stellte ich fest, daß sie in der Tat schön war -ganz ungewöhnlich schön sogar für eine Mongolin -, wenn auch nicht von der zierlichen und niedlichen porzellanenen Schönheit ihrer Dienerin.
Wieder sagte ich auf mongolisch: »Gute Begegnung, gute Frau«, woraufhin von dieser leise die Antwort kam: »Sain bina, sain urkek.«
»Komm! Aber nenn mich nicht Bruder!« sagte ich und lachte verlegen.
»So lautet aber die allgemeingültige Begrüßung.«
»Nun, dann versuch jedenfalls, keinen Bruder in mir zu sehen.« Auf diese Weise plauderten wir unverbindlich weiter sehr unverbindlich sogar, ja, eigentlich völlig unsinnig -, während die Dienerin ihr half, sich ihrer Gewänder und ihrer sehenswerten hochzeitlichen Unterwäsche zu entledigen. Ich stellte mich vor, und sie antwortete mit einem wahren Schwall von Worten, sie heiße Setsen, gehöre zum Mongolenstamm der Kerait und sei eine nestorianische Christin, denn bei den Kerait sei der ganze Stamm von irgendeinem wandernden nestorianischen Bischof bekehrt worden, und sie habe nie einen Fuß aus ihrem namenlosen Dorf im nördlichen Pelzjägergebiet von Tannu-Tuva gesetzt, ehe sie für das Konkubinat auserwählt worden und in eine Handelsstadt namens Urga gebracht worden sei, wo zu ihrer Überraschung und ihrem Entzücken der Wang der Provinz sie mit vierundzwanzig Karat eingestuft und weiter in den Süden nach Khanbalik geschickt habe. Auch, sagte sie, habe sie noch nie zuvor in ihrem Leben einen Ferenghi gesehen, und ich möge ihre Zudringlichkeit verzeihen, aber ob denn mein Haupt- und Barthaar von Natur aus so bleich oder ob es nur mit dem Alter grau geworden sei? Ich setzte Setsen auseinander, ich sei kaum älter als sie selbst und weit entfernt von jeder Senilität, wie sie an meiner immer größeren Erregung, in die ich mich bei ihrer Entkleidung hineingesteigert hatte, wohl erkannt haben dürfte. Auch würde ich ihr weitere Beweise für meine Lebenskraft erbringen, so versprach ich, sobald die Dienerin den Raum verlassen habe. Doch versank dieses Mädchen, nachdem es seine Herrin neben mich befördert und die Decken zugestopft hatte, wieder auf dem Boden neben dem Bett, als wolle sie dort bleiben, und blies nicht einmal die Lampe aus. Infolgedessen entwickelte der folgende Wortwechsel zwischen Setsen und mir sich schlimmer als nur unsinnig - er wurde lächerlich.
Ich sagte: »Ihr könnt Eure Dienerin entlassen.«
Sie sagte: »Die lon-gya ist keine Dienerin. Sie ist eine Sklavin.«
»Was auch immer. Ihr könnt sie entlassen.«
»Sie hat Befehl erhalten, meiner qing-du chu-kai -meiner
Entjungferung - beizuwohnen.«
»Ich entbinde sie von diesem Befehl.«
»Das könnt Ihr nicht, Herr Marco. Sie ist meine Helferin.«
»Und wenn sie Euer nestorianischer Bischof wäre, Setsen, es
wäre mir egal. Mir wäre es lieber, sie würde anderweitig helfen.«
»Ich kann sie nicht fortschicken, und Ihr könnt das auch nicht. Sie ist hier anwesend auf Befehl des Hofbeschaffers und der Dame Oberaufseherin über die Konkubinen.«
»Ich habe Vorrang vor Beschaffern und Oberaufseherinnen. Ich bin hier auf Befehl des Khans Aller Khane.«
Setsen setzte eine gekränkte Miene auf. »Ich hatte gedacht, Ihr wäret hier, weil Ihr den Wunsch hattet, hier zu sein.«
»Das natürlich auch«, beeilte ich mich zerknirscht zu versichern. »Aber ich habe nicht erwartet, Zuschauer zu haben, die in Hochrufe über meine Bemühungen ausbrechen.«
»Sie wird in keine Hochrufe ausbrechen. Sie ist eine lon-gya. Sie wird überhaupt nichts sagen.«
»Perdiziòn! Und wenn sie einen inno imeneo sänge -Hauptsache, sie tut es woanders.«
»Und was ist das?«
»Ein Hochzeitslied, eine hochzeitliche Hymne! Was darin gefeiert wird, ist -nun ja -die Durchbohrung des -na ja, das heißt der Entjungferung.«
»Aber das ist doch genau der Grund ihres Hierseins, Herr Marco.«
»Singen soll sie?«
»Nein, nein, nur Zeugin sein. Sie wird sich zurückziehen, sobald Ihr -sobald sie den Flecken auf dem Bettlaken sieht. Dann geht sie und erstattet der Oberaufseherin Meldung, daß alles so verlaufen ist, wie es sein soll. Ihr versteht?«
»Protokoll, ja. Vakh!«
Ich warf einen Blick hinüber auf das Mädchen, das damit beschäftigt schien, eingehend die erhaben herausgearbeiteten weißen Schnörkel auf dem
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