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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Haus war ein ansehnlicher palazzo. Links und rechts vom Portal standen Schildwachen, die bei unserem Eintreten eine Lanze präsentierten, die sowohl mit einer Spitze als auch einer Axtschneide bewehrt war; außerdem waren die beiden Schildwachen die größten Han, die ich je gesehen hatte.
    »Jaja, kräftige und gesunde Vertreter«, sagte Fung, als ich sie bewunderte. »Jeder gut und gern seine sechzehn Spannen groß, würde ich sagen.«
    »Da müßt Ihr irren«, sagte ich. »Ich selbst bin siebzehn Spannen groß, und sie sind noch mal einen halben Kopf größer als ich.« Scherzend sagte ich noch: »Wenn Ihr so schlecht im Zählen seid, frage ich mich, ob Ihr wirklich für die Rechenarbeit des Steuereintreibens geeignet seid.«
    »Aber sehr sogar«, ging er auf meinen scherzhaften Ton ein, »denn ich verstehe mich auf die Han-Methode des Zählens. Im allgemeinen mißt ein Mensch bis zum Scheitel, doch bei einem Soldaten mißt man nur bis zu den Schultern.«
    »Cazza beta! Warum?«
    »Um sie paarweise beim Tragstangentragen einzusetzen. Da sie Fußsoldaten sind und keine Reiter, müssen sie ihr eigenes Gepäck schleppen. Gleichwohl gilt es aber auch als ausgemacht, daß ein guter und gehorsamer Soldat keinen Kopf braucht.«
    Überwältigt und bewundernd schüttelte ich den Kopf und entschuldigte mich bei dem Magistrat, sein Können und seine Fähigkeiten auch nur im mindesten infrage gestellt zu haben. Als wir unsere Schuhe wieder gegen Schlupfpantoffeln eingetauscht hatten, begleitete er Hui-sheng und mich auf einem Rundgang durch das Haus. Während in einem Raum nach dem anderen Diener zu Boden fielen, um ko-tou zu machen, machte er uns mit diesen und jenen Einrichtungen bekannt, die unserer Bequemlichkeit oder unserem Vergnügen dienen sollten. Das Haus hatte sogar einen eigenen Garten mit einem Lotusteich in der Mitte, über den sich ein blühender Baum neigte. Der Kies auf den verschlungenen Wegen war nicht nur glatt gerecht, sondern in anmutigen Mustern geharkt. Ganz besonders angetan war ich von einem Zierstück: einem großen sitzenden Steinlöwen, der die Tür zwischen Haus und Garten bewachte. Dieser war aus einem einzelnen riesigen Felsblock herausgearbeitet, jedoch auf so geschickte Weise, daß der Löwe eine Kugel aus Stein im halbgeöffneten Maul hielt. Diese Kugel ließ sich mit dem Finger hin-und herrollen, nie jedoch hinter den Zähnen herausholen. Wahrscheinlich habe ich mit meinem Auge für Kunstwerke einigen Eindruck auf den Magistrat Fung gemacht, als ich ihm bei der Betrachtung einiger Rollbilder an der Wand unseres Schlafgemachs sagte, mir schienen diese Landschaften anders gemalt als diejenigen, die ich von den Künstlern aus Kithai kennte. Er sah mich von der Seite an und sagte:
    »Ihr habt recht, Kuan. Für die Künstler des Nordens sehen alle Berge so aus wie die schroffen und zerklüfteten Gipfel ihres Tian-Shan-Ge-birges. Die Künstler hier in Sung -vielmehr in Manzi, verzeiht -sind besser vertraut mit den sanften, üppigen Bergen des Südens, die gerundet sind wie die Brüste einer Frau.«
    Er verabschiedete sich und erklärte, jederzeit zu meiner Verfügung zu stehen; ich brauchte ihn nur zu rufen, wann immer mir danach sei, meine Arbeit aufzunehmen. Hinterher sahen Hui-sheng und ich uns in aller Gemächlichkeit in unserem neuen Hause um, schickten einen Diener nach dem anderen hinaus und machten uns mit den Räumlichkeiten vertraut. Eine Zeitlang saßen wir im mondbeschienenen Garten, und ich gab Hui-sheng zu verstehen, welche Einzelheiten der verschiedenen Geschehnisse des heutigen Tages mir besonderen Eindruck gemacht hätten und von denen ich meinte, daß sie sie von sich aus so begriffen hatte. Ich schloß mit dem allgemeinen Eindruck, den ich gewonnen hatte: daß niemand große Hoffnungen zu haben schien, daß ich als Steuereinnehmer Erfolg haben könnte. Sie nickte verständnisvoll bei jeder meiner Erklärungen und gab wie eine taktvolle Han-Ehefrau keinen Kommentar darüber ab, ob ich für meine Arbeit geeignet sei und welche Aussicht auf Erfolg ich hätte. Sie stellte vielmehr eine Frage:
    »Glaubst du, du wirst glücklich hier, Marco?«
    Da ich gleichsam eine hai-xiao-Woge an Liebe zu ihr in mir aufsteigen fühlte, sagte ich mit Hilfe von Gesten: »Ich bin glücklich - hier!« und machte es ihr deutlich: »Mit dir.«
    Wir leisteten uns eine Woche Ruhe, um uns in unserer neuen Umgebung einzuleben, und ich lernte rasch, all die unzähligen
    Einzelheiten der Haushaltsführung

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