Marco Polo der Besessene 2
gesehen hatte. Von der Leibesmitte an sah es nun doch wie ein Fisch aus, und der Schwanz war entschieden eine halbkreisförmige Flosse. Nur wies das Geschöpf sonst keine Flossen, Schuppen oder auch nur Kiemen auf. Es war mit einer ledrigen Haut überzogen wie ein Knurrhahn, und der Vorderteil des Leibes war schon sehr eigenartig. Statt Seitenflossen wie ein Knurrhahn wies es armähnliche Stümpfe auf, die in schwimmflossenbewehrten Anhängseln endeten. Noch bemerkenswerter war, daß es auf der Brust zwei gewaltige, aber eben unverkennbare Brüste aufwies die sehr viel Ähnlichkeit mit denen von Tofaa hatten -, während der Kopf unbestimmt an eine ausnehmend häßliche Kuh erinnerte.
»Was, um alles in der Welt, ist das?« fragte ich. »Wenn es nicht so scheußlich häßlich wäre, wü rde ich es fast für eine Meerjungfrau halten.«
»Es ist aber nur ein Fisch«, sagte Tofaa. »Wir nennen es einen Duyong.«
»Aber wozu denn die ganze Aufregung, wenn es nur ein Fisch ist?«
»Einige der Männer gehören zu der Mannschaft des Bootes, die das Duyong mit dem Speer erlegt und hergebracht haben. Die anderen sind Fischhändler, die Teile davon kaufen wollen, um sie weiterzuverkaufen. Bei dem gutgekleideten Herrn handelt es sich um den Dorfschulzen. Er verlangt Eide und Beglaubigungen.«
»Wozu denn das?«
»Das ist jedesmal so, wenn einer gefangen wird. Ehe der Duyong verkauft werden darf, müssen die Fischer schwören, daß keiner von ihnen auf der Fahrt nach Hause surata mit dem
Duyong getrieben hat.«
»Ihr meint… sich damit gepaart hat? Mit einem Fisch!«
»Das tun sie immer, obwohl sie stets schwören, es nicht getan zu haben.« Nachsichtig lächelnd zuckte sie mit den Schultern: »Ihr Männer!«
Es sollte später noch viele andere Gründe und Anlässe geben, die Tatsache zu beklagen und etwas dagegen zu haben, mit den Hindumännern in einen Topf geworfen zu werden, doch dies war das erste Mal. Ich ging in weitem Bogen um den Duyong und die Männer herum und schritt dann auf der Hauptstraße von Kuddalore dahin. All die fülligen Bewohnerinnen des Dorfes trugen den um den Leib gewundenen Sari, der den meisten Körperschmutz verdeckte bis auf den Wulst am Bauch, der bloß lag. Da die ausgemergelten Männer weniger vorzuzeigen hatten, zeigten sie eben dieses wenige, denn sie trugen nichts weiter als einen ziemlich unordentlich um den Kopf geschlungenen tulband und eine dhoti genannte große, lockere und bauschige Windel. Die Kinder trugen überhaupt nichts außer dem roten Punkt auf der Stirn.
»Gibt es hier eine kanvansarai?« fragte ich Tofaa. »Oder wie Ihr es sonst nennt, jedenfalls etwas, wo wir unterkommen können, bis wir weiterreisen?«
»Dak bangla«, sagte sie. »Eine Raststätte für Reisende. Ich werde mich erkundigen.«
Unvermittelt griff sie zu, packte einen vorübergehenden Mann am Arm und stellte ihm barsch eine Frage. Dieser Mann nahm es nicht als Beleidigung, von einer niedrigen Frau angesprochen worden zu sein, wie das ein Mann in jedem anderen Lande getan hätte. Er wand sich vielmehr förmlich und antwortete geradezu demütig. Tofaa sagte etwas, das sich fast wie ein Vorwurf anhörte, woraufhin er womöglich noch sanftmütiger antwortete. So ging es eine Weile hin und her, wobei sie fauchte und er schließlich winselte. Fassungslos starrte ich sie an, und endlich berichtete Tofaa mir, was bei der Unterhaltung herausgekommen war.
»In Kuddalore gibt es kein dak bangla. Es kommen kaum je Fremde hierher, und die wenigen, die dennoch kommen, legen zumeist keinen Wert darauf, hier auch nur eine Nacht zu verbringen. Typisch für die niedrigen Cholas. In Bengalen, wo ich zu Hause bin, wären wir überaus gastfreundlich empfangen worden. Gleichwohl bietet dieser Tropf uns Unterkunft in seinem eigenen Hause an.«
»Nun, das würde ich nun wieder durchaus gastfreundlich nennen«, erklärte ich.
»Er sagt, wir sollen ihm bis dahin folgen und dann draußen warten, bis er einige Augenblicke im Hause verschwunden ist. Dann sollen wir anklopfen, er wird uns aufmachen, dann sollen wir ein Bett und eine Mahlzeit verlangen, woraufhin er uns das
rüde abschlagen wird.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das ist so üblich. Ihr werdet schon sehen.«
Wieder sprach sie mit dem Mann, und dann entfernte er sich fast im Eiltempo. Wir folgten ihm und bahnten uns den Weg zwischen Schweinen und Geflügel, Kindern und Kot und anderem Abfall auf den Straßen. Wenn ich mir so ansah, in was für Häusern die
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